Vorteil Studiengebühren?

Hochschulforscher Peer Pasternack: Unis aus dem Korsett der Hochschulpolitik befreien

  • Lesedauer: 4 Min.
Bis vor kurzem war Peer Pasternack Staatssekretär im Wissenschaftssenat von Thomas Flierl (PDS). Im Juli bereits kündigte er seinen Rücktritt an. Die Bedingungen für gestaltende Politik seien derart verengt worden, dass er für sich keine Möglichkeit sehe, zukünftig im Berliner Senat mitzuwirken, erklärte er. ND sprach mit dem nach Halle zurückgekehrten Hochschulforscher über die Zeit nach dem Uni-Streik.
ND: Was muss sich ändern, damit Studenten-Proteste überflüssig werden?
Pasternack: Dazu müssten die Unis aus dem Korsett der Hochschulpolitik befreit werden.

Wie soll das gehen?
Die Finanzierung der Hochschulen darf nicht allein eine Angelegenheit der Hochschulressorts sein. Schließlich geht es dabei auch um Zukunftsvorsorge oder regionale Strukturentwicklung. Die Politik muss den Unis mehr Priorität einräumen.

Das wollen die Politiker doch.
Richtig, gesagt wird es. Aber die meisten Politiker haben Schwierigkeiten, mit der hochschultypischen Erwartungsunsicherheit umzugehen. Das heißt: Sie neigen eher zur Vorsicht bei Ausgaben im Hochschulbereich, weil sie nicht wissen, ob das Geld, dass sie in Unis stecken, auch gut angelegt ist. Forschungsergebnisse und Lehranstrengungen lassen sich aber nicht auf Punkt und Komma vorhersagen.

Wenn das so ist, wäre es dann nicht besser, der Staat gäbe den Hochschulen mehr Freiheiten, zum Beispiel in Finanz- und Personalfragen, aber auch in Bezug auf das Studienangebot?
Sicherlich, allerdings dürfen Sie nicht vergessen, dass die Autonomie-Debatte mit unterschiedlichen Zielsetzungen geführt wird. Die Politik ist in der Regel nur dann bereit, den Hochschulen mehr Autonomie zuzugestehen, wenn sie dadurch Verteilungskonflikte nach unten delegieren kann. Die Hochschulen sagen sich: Besser mehr Autonomie unter diesen Bedingungen, als gar keine; wenn der Staat wieder mehr Geld hat, ist er eh nicht bereit, von seiner Gestaltungsmacht etwas abzugeben. Finanzautonomie ist für sich genommen allerdings auch nicht der Weisheit letzter Schluss, wenn die Hochschulen bei der Ausgestaltung ihrer Freiräume genauso fantasielos sind, wie die Politik. Wenn alle die selben Ideen haben, zum Beispiel die selben vermeintlich marktgängigen Studiengänge favorisieren, dann lässt sich jedenfalls kaum von positiven Wettbewerbseffekten sprechen.

Vor einigen Jahren erklärte mir ein Bildungspolitiker, dass niemand Studiengebühren ernsthaft einzuführen gedenke. Heute ist es nicht mehr eine Frage des ob, sondern des wie.
Studiengebührenbefürworter argumentieren in der Regel folgendermaßen: Durch Studiengebühren werde die Entscheidung für ein bestimmtes Studium finanziell attraktiv für die Hochschulen, und diese würden in Folge dessen ihr Studienangebot verbessern. Als Wissenschaftler frage ich zunächst nach dem Zusammenhang zwischen einer Maßnahme und ihren Zielen. Würde eine positive Wirkung auf die Qualität der Lehre, die man sich mit Studiengebühren erhofft, überhaupt eintreten können? Ich meine, nein. Denn das Geld, das die Hochschulen durch die Gebühren erhielten, würde direkt oder indirekt zu Kürzungen der staatlichen Zuschüsse führen. Verhindern ließe sich das nur, wenn es gelänge, vor den Finanzministern die Erhebung von Studiengebühren geheim zu halten.

Aber es gibt ja auch andere Modelle, zum Beispiel das unter anderen von der Hans-Böckler-Stiftung entworfene Konzept Bildungssparen. Wäre das eine Alternative?
Dieses Modell soll sicherstellen, dass für jeden jungen Erwachsenen in gleichem Umfang Geld zur Verfügung steht, das in die eigene Bildungsbiografie investiert werden kann. Das Konzept hätte den Vorteil, dass Bildung als Wert begriffen wird, ohne dass es eine finanziell begründete soziale Selektion gibt. Der Aufbau des Bildungsguthabens wäre verpflichtend, wobei bei Unterschreitung eines bestimmten Familieneinkommens der Staat einspringen würde und das so angesparte Guthaben ausschließlich für Bildung verwendet werden dürfte. Zudem könnten mit dem Guthaben auch andere Ausbildungen finanziert werden, die bislang individuell bezahlt werden müssen, zum Beispiel die Ausbildung zum Physiotherapeuten und andere berufsqualifizierende Ausbildungsgänge, die zwischen Uni und Dualem System angesiedelt sind.

Klingt gut. Aber keine Theorie ist ohne Nachteil.
Richtig. Der Nachteil dieses Modells bestünde in einer individuellen Ökonomisierung der Bildung. Junge Menschen würden gezielt solche Studiengänge wählen, von denen sie sich für ihr Bildungsguthaben eine entsprechend gute Rendite auf dem Arbeitsmarkt versprechen. Die Hochschulen sähen sich dann genötigt, bestimmte Angebote abzubauen, nur weil diese nicht mehr genügend nachgefragt werden. Gesamtgesellschaftlich und auch wirtschaftlich kann dies aber fatale Folgen haben. Was ist, wenn zum Beispiel Fächer wie Elektrotechnik zeitweilig weniger intensiv studiert werden?

Ließe sich diese Gefahr nicht minimieren, z.B. durch einen Finanzausgleich zwischen verschiedenen Studiengängen?
Na ja, bei den Unis käme das wieder als der Versuch staatlicher Bevormundung an. Der Widerstand wäre entsprechend.

Wenn der Hochschulforscher Peer Pasternack als Politiker allein entscheiden könnte, was würde er als erstes tun?
Er würde Hochschulausgaben nicht mehr als Interesse eines einzelnen Ressorts begreifen. Hochschulausgaben müssen aus den konsumptiven Ausgaben in den Staatshaushalten herausgenommen werden und als das behandelt werden, was sie sind: Investitionen.

Gespräch: Jürgen Amendt
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