Beste Adresse, aber trotzdem Armenküche

»Der deutsche Mittagstisch« von Thomas Bernhard am Berliner Ensemble

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
Der deutsche Mittagstisch mag wie Nudelsuppe aussehen. Ist aber Nazisuppe. Statt der Buchstaben: Hakenkreuze. Auch schwimmt kein Haar in dieser Suppe, sondern ebenfalls nur wieder - das Hakenkreuz. Das Hakenkreuz ist das ewige Haar in der ewigen Suppe. Wir haben das Nazitum mit dem Löffel gefressen, und die Welt muss es auslöffeln. Wir aber zuerst. Der Essenstisch - überhaupt ein zentraler Katastrophenort beim stabil bösartigen Bernhard: Wo die Familie zusammenkommt, braut sich Hölle zusammen, und Darwin stellt seine Schlacht-Hierarchien auf. »Der deutsche Mittagstisch« ist eine kurze Farce von Thomas Bernhard, in der Herr und Frau Bernhard (!) mit Urenkeln und Ururenkeln um den Tisch herumsitzen, besagte Nazisuppe löffeln - bis alle die Mutter erwürgen, die diese deutscheste aller Suppen gekocht hat. Die Szene ist im Berliner Ensemble das Titel gebende und abschließende von insgesamt sechs Dramoletten des österreichischen Autors, inszeniert von Claus Peymann. Eine kleine Guckkastenbühne - überm Portal ein beinahe kindlich hingemalter Hitlerkopf, weißgeschminkt und mit Mephisto-Hörnern - öffnet sich für Prospekte, die ebenfalls in der Manier von ungelenken, dickstrichigen Kinderzeichnungen Wald, Kirchenvorplatz, Schlafzimmer, Villa, Meeresstrand und besagtes Esszimmer für den Mittagstisch andeuten. Auftreten: Altnazis, die von Linzer Torte in Buchenwald schwärmen oder von Heldengräbern auf Kreta; oder Dorfweiber, die den Türken »Vergasen!« hinterherschreien; auch eine Polizistinnen-Ehefrau, die es satt hat, jene Uniformen ihres Mannes zu flicken, die auf Studenten-Demonstrationen beschädigt wurden, und die deshalb davon träumt, hineinzuschießen »in dös Gsindl«. Bernhards Nazi-Hass und Nazi-Angst, kulminierend in den Stücken »Vor dem Ruhestand« und »Heldenplatz« - es ist auch Thema dieser Einakter, uraufgeführt 1981 in Bochum und unter Peymanns Intendanz ab 1987 die meistgespielte Aufführung in der 223jährigen Geschichte der Wiener Burg. Seine eigene Inszenierung nun reiht sich ein in jene neuere Kleine-Abend-Tradition des Hauses, bei der Einakter wie Brechts »Kleinbürgerhochzeit« oder weitere Bernhard-Dramolette (»Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen«) die große Bühne zu füllen hatten. Beides vor einiger Zeit inszeniert vom jungen Philip Tiedemann. Fingerübung macht den schöpferischen Meister. Nun macht der Meister selber Fingerübungen. Schöpfung? Erschöpfung? Oft hat Theater Geheimnisse, die leider nur außerhalb der Bühne liegen. Unter dramaturgischen Gesichtspunkten ist das Berliner Ensemble hochpolitisch: Spielt Hochhuth und Lessing, Brecht und Bernhard. Erfüllt - besser als feuilletonistisch eingeschätzt! - den Lehrspielplan bürgerlicher Solidität. Gibt der Hausherr zu dem Thema Interviews, fallen schon mal Worte, die wie Nationaltheater klingen. Als sei der Satz, der übertreibt, schon Treibsatz genug, um einen Betrieb in die Kunst hineinzuschießen. Nein, so festigt sich bloß mehr und mehr der Eindruck: Da schießt einer sich selber hoch. Und ab. Schrieb Bernhard Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger des vergangenen Jahrhunderts seine Dramolette, weil er sich von der Wirklichkeit eingeholt sah (Furcht und Elend des Vierten Reiches), so sehe ich hier Theater, das doch von Satire-Brettln jeder Vorstadt inzwischen überholt wird - aber ohne dass es überhaupt eingeholt werden muss. Denn: In seiner Grobheit bleibt vieles zu wenig grausig und verstörend, ist weder schockierend noch frostig. Kurz vor Schluss fällt denn auch der Name »Hohmann« - man hört die Nachtigall nicht trapsen, nein, Peymann befiehlt ihr, zu trampeln. Die Zahnlosigkeit einiger dieser Szenen präsentiert sich, als seis noch immer der Beißheit letzter Schluss. Peymann will böse sein, aber mit dieser Inszenierung riskiert das BE eine Klage der neonazistischen Szene wegen böswilliger Verharmlosung. Dabei versucht sich die Inszenierung zunächst durchaus passabel zwischen derbem Bauerntheater und verschlagen-depperter Valentiniade. Noch in der Miniatur ahnbar: diese höchst kunstfertige, schleifenartige Wort-an-Wort-Melodie-Technik Bernhards, diese ausgefeilte, betont mit Wiederholungen, Aufwallungen und Absenkungen spielende Rhetorik ganz aus Musikalität. Und immerhin: Die Aufführung bietet mit Ilse Ritter, Carmen-Maja Antoni, Therese Affolter, Gudrun Ritter, Traugott Buhre und Manfred Karge schauspielerische Beträchtlichkeiten auf. In einem der Kurzstücke geht der Dorfpfaffe über die Bühne, zum Text der Ersten Nachbarin: »Wia der geht/ so an schenan Gang hat er der Herr Pfarrer/ i kenn neamd der so schön geht/ und derweil is a scho siebzig«. Der da für absolut nichtige, wesenlose Sekunden und als Illustration des eben Zitierten quasi ungesehen vorübergeht, ist kein Geringerer als der wahrlich leib-haftige Traugott Buhre; was er hier tun muss - jeder Passant könnte es leisten, der am BE vorbeigeht (was ja in diesem Falle eine Alternative zum Theaterbesuch wäre). Womit nur ein wenig melancholisch darauf verwiesen sein möge, dass es in der Theatergeschichte schon stumme Bühnengänge gab, die Applaus auslösten. Als Beispiel dafür, was Schauspieler aus lascher Szenerie machen können. Dass also Komödiantentum immer noch alles bedeuten muss, selbst wenn ansonsten wenig Erregung geboten wird. Nein, dieses Abend-Brot ist und bleibt auch in dieser Hinsicht Graubrot - wobei Bernhard den agierenden Damen wenigstens noch Rollen geschrieben, die Herren des gauklerischen Gewerbes dagegen völlig in die Statisterie abgeschoben hat. Was ja aber die Notwendigkeit des über- und ausspielend Gestischen und Clownesken nur erhöht und also die Ehren-Rettung des Ganzen durch den Regisseur mehr denn je erfordert hätte. Doch die Höchst-Form des Regieeinfalls sind hier türkisch verkleidete Schauspieler, die mal von links, mal von rechts den Zuschauerraum bedrängerisch betreten (aufgemerkt: Einbruch von Realität in den Kunstraum!). Ausnahme-Erscheinungen: Therese Affolter als Polizistinnenfrau, die sich mit hausfraulich-verschrobener Biederkeit aus der Wäsche herausschält und ins plump Reaktionäre hineinschraubt. Und Gudrun Ritter, zweimal als Nazi-Gattin - zunächst eine aus tumbem Mittel- und dann eine aus richterlichem Höchststand. Die Ritter (Deutsches Theater bleibt Deutsches Theater!) ist in ihren Figurenzeichnungen niemals nur Tendenzgekritzel, sondern ein Farbgebild. Viele Beleuchtungen, wo doch bloß Karikatur zu sein scheint. Mischwesen, mit Halbspuren, Einschlägen, Übergängen. Dummes Gemüt, Schärfe des Abgrunds, listiges, aasiges Augenlauern und exekutionskaltes Gelächter. Peymann hat das BE zur Bernhard-Enklave gemacht, er spielt damit regelmäßig einen der wichtigen Autoren unserer Zeit. Er scheint gefesselt zu sein an jenen Dramatiker, dem Hass nur das andere Wort für Gegenliebe war. So wie Bernhards Literatur von haarsträubenden Übertreibungen und Abnormitäten lebte, so will auch Peymann (noch einmal: die Interviews!) der geliebte Hassende sein. Wirkt aber mitunter nur kindsch tapfer. Gut vorstellbar, dass es auf Proben zur hier dargebotenen politischen Petitesse bohrend fragende Arbeitsgespräche übers gefährlich Gestrige im heutigen Deutschland gab. Just das Unverbesserliche arbeitet ja den moralischen Anstalten als Impuls zu, und das Akute der Zeit macht Theaterarbeit wesentlich. Es kann aber auch dazu führen, das Gewollte schon für die Wirkung zu halten. Wer Schauspiel-Kabarettisten wie etwa Georg Schramm oder Gerhard Polt erlebt hat, für den kommt dieser jetzige Mittagstisch zwar von der besten Adresse, aber trotzdem aus der Armenküche. Das abgekocht Niederträchtige der Szenenfolge wirkt nur noch aufgewärmt. Diese Dramatik ist Konserve mit Verfallsdatum. Peymann gibt sein Bestes - mehr kommt da nicht auf den Teller. Er meint es gut - Besseres lässt sich vom Aufgetischten leider nicht sagen. Sie können abräumen, Herr Ober! Weiter: heute, am 27. und 29. Dezember sowie am 1. Januar 2004.
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