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Kunstgeld unter dem Hammer

  • Lesedauer: 2 Min.

Das war der definitive Eingriff der Kunst in die Marktwirtschaft im November und Dezember letzten Jahres (ND berichtete): Da kursierte in und um Prenzlauer Berg eine Zweitwährung, die es in sich hatte. Knochen zeigten ihren Wert an. Und nicht die Bundesbank, sondern die Galerie o zwei in der Oderberger Stra-ße druckte die Noten. Mehr als 50 Künstlerinnen lieferten Entwürfe und legten hilfreich Hand an die Druck-, sprich Kopiermaschinen, damit Kneipen, Theater und Geschäfte im Einzugsbereich das Knochen-Geld verwerten konnten.

Das Experiment klappte: Ein ganzer Kiez zog an einem Strang und kaufte die Kunst-Scheine, derer einer den Gegenwert von 20 DM aufwog. Die Galerie diente als Handelszentrum, in der die Zweitwährung gekauft und aufgewertet wurde - pro Woche verlor jeder Schein eine Mark an Kapitalwert und mußte mit aufzuklebenden Marken wieder zinsgerecht aufgepäppelt werden. In den Geschäften, die mit dem Kunstgeld handelten, ihr Personal bezahlten oder es als Wechselgeld nutzten, erhielten die Kunstnoten Stempel. Schließlich wurden die Knochen auch wieder gegen Valuta eingetauscht. Erfreuliches Zwischenresultat: das Kunstgeld fand reißenden Absatz. Weder Fälschungen noch Verbote trübten das Vergnügen, dem Begleitveran-

staltungen unter dem Motto „loe Bsaffot“ (Falschgeld) philosophische Tiefe verliehen. Denn, wie es sich für Kunst gehört, ist mit dem materiellen Nutzen der Fall noch lange nicht erledigt.

Nach abgeschlossener Aktion wurden die Scheine eingesammelt mit Los-Nummern versehen und vor ein paar Tagen in einer festlichen Auktion der Versteigerung preisgegeben. Ort: die gemütliche Pinte „Torpedokäfer“ in Prenzelberg. Stimmung: knochig. Zeit: von 14 Uhr bis in die Nacht. Erlös: ausreichend für die Künstlerhonorare, die pauschal 500 DM für ihre Mühe erhielten. An den Wänden hingen Musterexemplare der Versteigerungsobjekte, im Hintergrund des Lokalraumes bot ein Auktionator mit professioneller Geschwindigkeit die Einzelexponate zum Kauf. Sammler und Kaufwillige deckten sich mit dem liebevoll handgeschriebenen Auktionskatalog sowie mit einer Ersteigerungsnummer ein.

Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten: So wanderte denn die öffentlich alltäglich gemachte Kunst doch in Privatbesitz. Bleibt noch zu sagen, daß es Hoffnung auf eine Fortführung der Kunstgeldkunst gibt: Im Frühsommer werden Münzen von Künstlerhand in den ehernen Kreislauf des Kommerzes einbrechen. Auf, daß die Kassen kunstvoll klingeln!

GISELA SONNENBURG

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