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  • Kultur
  • IRMELA von der LÜHE als Biographin ERIKA MANNS

„Die Eri muß die Suppe salzen“

  • GABRIELE MITTAG
  • Lesedauer: 5 Min.

Biographien sind ein eigenartiges Genre, angesiedelt irgendwo zwischen Wissenschaft und Dichtung. Wo immer die Quellenlage dünn wird, blüht die Phantasie der professionellen Spürnasen in Sachen Leben und Werk. Andere wiederum halten sich strikt an das, was Archive und. Gedrucktes hergeben und un-; terziehen die mündlichen Quellen genauester Prüfung. Zu diesem Typ der Biographin zählt die Berliner Literaturwissenschaftlerin Irmela von der Lühe, die sich mit einer Biographie über Erika Mann habilitierte und so einen der spannendsten Lebensläufe (emigrierter) Frauen des 20. Jahrhunderts öffentlich macht.

Die Biographin verfährt wie eine Erzählerin in modernen Romanen: ihr Verhältnis der „Protagonistin“ gegenüber ist zwar distanziert, aber nicht unterkühlt. Lühe ist Erika Mann liebevoll zugeneigt, kommentiert zurückhaltend ihre Handlungen und politischen Einschätzungen und erliegt sympathischerweise zuweilen der Intelligenz, dem Charme, dem Witz und der Androgynität der außerordentlich vielseitigen, 1905 in München geborenen, ältesten Tochter der Familie Mann. Auf über 300 Seiten wird das Leben und vor allem das Lebenswerk der Schauspielerin, Kabarettistin, antifaschistischen Daueragitatorin, politischen Publizistin der Nachkriegszeit und streitbaren Nachlaßverwalterin der Werke ihres Vaters und ihres Bruders Klaus aufgerollt, flüssig zu lesen, unterhaltsam, selten zähflüssig. Wie in jeder gelungenen Biographie wird auch hier zugleich ein ganzer Ge-- Schichtsabschnitt eingefangen: die turbulenten Jahre der Geschwister “Mann zur Zeit der Weimarer Republik, die Zeit des Exils in Europa und Amerika, die „Abwicklung“ der durch den Nationalsozialismus zur Vollblutpublizistin gewordenen Erika Mann, die sich verweigert, ihr Denken zeitgemäß in Blöcke aufzuspalten, und die 50er und 60er Jahre, die sie zurückgezogen in der Schweiz verbringt, dem Zeitgeschehen gegenüber ohnmächtig, aber nie untätig.

Die Biographie führt die Leserinnen quer durch Europa, zu den hitzigen Diskussionen deutscher Flüchtlinge im Exil über „The other Germany“ und über „Umerziehungspläne“ nach 1945, zu den Nazigrößen hinter Gittern während der Nürnberger Prozesse, ins zertrümmerte Deutschland, zum Kalten Krieg nach Europa. Das Verdienst der Biographie besteht vor allem in der Darstellung der vielfäl-

Irmela von der Lühe: Erika Mann. Eine Biographie. Campus Verlag Frankfurt/Main. 350 S., geb.,

49 DM.

tigen Aktivitäten Erika Manns seit 1933. Während die WeirAaxer i R.epjibUk i eing.Zeit der beruflichen “und privaten: Ex.peömen,1;e i .3yar,..JAhTO sor.glpr, sen Amüsements, ermöglicht nicht nur durch das materielle und emotionale Polster des Elternhauses, wird das Jahr 1933 zur absoluten Zäsur. Das (Theater)-Spiel wird ernst, die Aktivitäten bekommen einen Sinn, das Leben eine Aufgabe: Erika Mann wird hauptberufliche Agitatorin gegen den Nationalsozialismus, Aufklärerin, exponierte Humanistin und Vertreterin eines demokratisch vereinten Europas. Die Medien, die diese Aufklärungsarbeit transportieren, Wechseln in Abhängigkeit von den jeweiligen Möglichkeiten. Das Scheitern des antifaschistischen Kabaretts „Pfeffermühle“, das von 1933 bis 1936 in Europa erfolgreich war, in den USA führt zu einem Bühnenwechsel: Erika Mann wird „lecturer“, rast quer über den amerikanischen Riesenkontinent und erzählt vom Alltag in Nazi-Deutschland - so lange, bis ihre politischen Botschaften nicht mehr erwünscht sind: nach 1945, vor allem in der McCarthy-Ära, als Erika Mann wie so viele andere als Sympathisantin des Kommunismus verdächtigt und vom FBI als „sexuell pervers“ eingestuft wird.

So ' unverwechselbar ihr Durchsetzungsvermögen an männerdominierten Orten der Öffentlichkeit war, so idealtypisch sind ihre literarischen und publizistischen Arbeiten für das Schreiben von Frauen im Exil: Ausgangspunkt ihrer „Geschichten“ ist immer der Alltag, die Frage, wie sich die NS-Diktatur ganz konkret auf das Leben von Kindern, von Männern und Frauen ausgewirkt hat. Ob in ihren „Vorlesungen“, ihren Rundfunkansprachen oder als Korrespondentin während des Krieges immer erzählt sie plastisch, konkret, anschaulich.“

So genau, unterhaltsam und kenntnisreich hier das Leben der Künstlerin und Agitatorin beschrieben wird, so unterbelichtet bleibt die „Privatperson“. Der zur stehenden Wendung gewordene Aufruf „Eri muß die Suppe salzen“ beweist zwar ihre Bedeutung als Liebende, Sorgende, die unermüdlich im Einsatz war für Freunde und Familie. Aber ihr Verhältnis zu Freunden, vor allem zu ihren Freundinnen, bleibt merkwürdig unlebendig. Dabei hat es nicht an ihnen gefehlt: Pamela Wede-

kind, Therese Giehse, Eva Herrmann, Lotte Walter, Annemarie Schwarzenbach und ihre schnell vorübergehende Leidenschaft zu der vor allem anstrengenden amerikanischen Kriegskorrespondentin Betty Knox. Die Beziehungen zu diesen Frauen werden der Vollständigkeit ..,, halber k . er-^ wähnt, Briefe parapHraslerCr aber mehr eben nicht-JDiesmag auf die schwierige Quellenlage zurückzuführen sein: Die Mutter der lesbischen Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach zum Beispiel vernichtete Erikas Briefe an ihre Tochter. Und aus den Briefen Pamela Wedekinds, die in den 20er Jahren eine „enge, fast leidenschaftliche Bindung“ zu Erika entwickelte, durfte die Biographin zwar lesen, vermutlich aber nicht zitieren. Zudem war Erika Mann nicht der Typ, der sich in Briefen über Liebeslust und -last ausschüttete. Und doch entsteht der Eindruck, als habe sich die Biographin „schützend“ vor das Intimleben stellen wollen. Bedenkt man, daß Erika Mann - durch ihren Bruder - in homosexuellen Kreisen verkehrte, verwundert die Zurückhaltung bei der Beschreibung dieses Lebensumfeldes.

Insgesamt entsteht das Bild siner Frau, die sich nie ganz auf Menschen außerhalb ihrer Familie einließ. Zu keinem anderen Menschen waren ihre Beziehungen so intensiv wie zum „Zauberer“, der Söhne eigentlich für eine „ernstere Angelegenheit“ hielt, und zu ihrem Bruder Klaus. Für beide war sie eine Art „Brücke zum Leben“ Daß sie nie eine eigene Wohnung bezog, scheint geradezu symptomatisch für eine Lebensweise, die sicher nicht allein durch das Provisorium Exil bedingt war: Ihr Zuhause war dort, wo ihr Vater, wo ihre Eltern lebten. Andere Orte erscheinen wie Übergänge. So begabt, selbständig und selbstbewußt Erika Mann auch war: Aus der Familie hat sie sich im Grunde nie ganz herausbewegt. Nach dem Scheitern beruflicher Pläne, der privaten Enttäuschung über ihre Liebe zu Bruno Walter und dem Selbstmord ihres Bruders wurde die Familie sogar zum Arbeitsplatz, Ort des Rückzuges vor frustrierenden Nachkriegsrealitäten. Auch bezüglich dieser geradezu klassischen geschlechtsspezifischen Lebensgestaltung (Fremdes verwalten statt am eigenen Werk zu schreiben) hält sich die Biographin mit feministischen Kommentaren vollkommen zurück, als hätte niemand das Recht, ein Urteil darüber abzugeben. Menschlich ist dies nachvollziehbar, wissenschaftlich nicht.

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