Noma - die Krankheit der armen Kinder

Deutsche Stiftung engagiert sich für Operationen Schwerkranker in Nigeria

  • Martin Höxtermann, Freiburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Noma Children Hospital im nigerianischen Sokoto werden Kinder mit der bei uns weitgehend unbekannten Krankheit »Noma« von deutschen, niederländischen, französischen und österreichischen Ärzten operiert. Die Kosten dafür trägt die Kinderstiftung Allgemeiner Wirtschaftsdienst in Hannover.
Wir haben von morgens um acht bis abends um acht Uhr nonstop operiert«, berichtet Nils-Claudius Gellrich. 64 Operationen in vierzehn Tagen. Eine sehr harte, körperlich anstrengende Arbeit, die Spuren hinterlassen hat. »Man bekommt ein anderes Gefühl dafür, was wichtig und unwichtig ist«, sagt Gellrich. Der 38-jährige Chirurg aus Freiburg ist Professor in der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Uniklinikums und war im vergangenen Sommer zusammen mit einer Freiburger Kollegin und einem Team aus Göttingen und Frankfurt zwei Wochen lang im Nordwesten Nigerias im Einsatz - im »Noma Children Hospital« in Sokoto.

Noma zerfrisst Lippen, Wangen, Kieferknochen

In dieser Region leiden viele Kinder an einer Krankheit, die »Noma« (griechisch: Nome = verzehren, verschlingen) genannt wird. Andere Bezeichnungen lauten Wangenbrand oder Wasserkrebs. Bei dieser Mischinfektion dringen Bakterien in kleine Verletzungen der Mundschleimhaut ein und zerfressen das Gewebe von Lippen, Zahnfleisch, Nasen, Wangen und Kieferknochen. Fürchterliche Gesichtsentstellungen sind die Folge, die normales Essen und Sprechen fast unmöglich machen.
Noma ist in den Wohlstandsregionen der Erde unbekannt. Mit der sozialen und ökonomischen Entwicklung des 19.und 20.Jahrhunderts ist sie aus Europa und Nordamerika verschwunden. Betroffen sind vor allem Kinder in den Armutsregionen Afrikas, Asiens und Mittelamerikas, deren Immunsystem aufgrund von Mangelernährung, fehlender Hygiene und mangelnder medizinischer Grundversorgung stark geschwächt ist. Mit Hygiene und ausreichender Nahrung wäre das Leiden vermeidbar. Noma - das ist auch ein Name für das Antlitz der Armut in einer kapitalistisch organisierten Welt, die zwar ausreichend Geld für Waffen, nicht aber für Brot und Medizin hat.

Ohne Therapie sterben neun von zehn Kindern

Die Mehrzahl der erkrankten Kinder ist zwei bis sechs Jahre alt. Laut Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) gibt es allein in Afrika jährlich rund 100000 neue Fälle, die meisten in den Sub-Sahara-Ländern. Nur bei rechtzeitiger Behandlung besteht eine Heilungschance von 90 Prozent; ohne Therapie müssen neun von zehn Kindern sterben. Chirurgische Eingriffe stoppen die Krankheit; verstümmelte Gesichtsregionen können durch Gewebeverlagerungen ersetzt werden. Doch Penicillin zur Behandlung ist in der Regel nicht vorhanden. Und Operationen im staatlichen Krankenhaus können viele Familien nicht bezahlen. In dieser Situation will das Noma Children Hospital in Sokoto, das 1999 als weltweit einzige klinische Einrichtung dieser Art eingeweiht wurde, sinnvolle Entwicklungshilfe leisten. Dort werden Kinder kostenlos operiert. Es verfügt über 75 Betten und gilt als Nukleus eines Behandlungs- und Forschungszentrums für ganz Westafrika. Das Gebäude wurde von der nigerianischen Regierung errichtet, die Ausstattung und ständiges Personal finanziert. Kosten für Geräte, Instrumente und Verbrauchsmaterialien übernimmt die Kinderstiftung Allgemeiner Wirtschaftsdienst (AWD), eine in Hannover ansässige gemeinnützige Stiftung, die unmittelbare Hilfe für Kinder in Not leisten will.
Das Noma-Hilfsprojekt ist das derzeit größte und wichtigste Projekt der AWD-Stiftung. »Behandlung vor Ort«, lautet das Konzept. »Dies hat nicht nur den Vorteil, dass diese aufwendigen Operationen sehr viel kostengünstiger als in Europa durchgeführt werden können, nämlich statt für 70000 für nur rund 3000 Mark«, berichtet AWD-Mitarbeiterin Heike Brunner. »Es stellt auch sicher, dass die kleinen Patienten nicht aus ihrem Kulturkreis gerissen werden und von ihrem Familien betreut werden können«. Liebevolle Zuneigung und Fürsorge sei für den Genesungsprozess nach derart schweren operativen Eingriffen unabdingbar. Seit 1996 ist die AWD-Stiftung in Sokoto tätig, zunächst in einem dort bestehenden Krankenhaus, dann im Noma-Children-Hospital. Mit Unterstützung der Kooperationspartner, der »Dutch Noma Foundation«, »Interplast« und »Facing Africa«, wurden in dieser Zeit rund 750 kleine Patienten chirurgisch rehabilitiert. Während die kontinuierliche klinische Betreuung durch Mitarbeiter vor Ort bewerkstelligt wird, erfolgt die aufwändige plastisch-chirurgische Rekonstruktion durch internationale OP-Teams, die jedes Jahr für zwei Wochen ehrenamtlich dort arbeiten.

Ärzte und OP-Schwestern arbeiten ehrenamtlich

»Die plastischen Chirurgen, Anästhesisten und OP-Schwestern aus Deutschland, Frankreich, Holland und Österreich opfern dafür ihren privaten Jahresurlaub«, berichtet Heike Brunner. Zum Ansatz der »Hilfe zur Selbsthilfe« gehört auch die Weiterbildung nigerianischer Chirurgen, Anästhesiepfleger, Schwestern und Dorfpfleger sowie Aufklärungskampagnen im Land.
Für den Freiburger Chirurgen Nils-Claudius Gellrich war es der erste Einsatz in Nigeria. »Ich hatte mich nach einem Anruf der AWD-Kinderhilfe spontan für den Einsatz entschieden«, berichtet er. Anders als in deutschen Kliniken, wo Hightech-Medizin üblich sei, habe man oft nur mit älteren Instrumenten arbeiten können. 12 bis 14 Betten stehen dort in einem Krankenzimmer. »Als junger Vater hat mich das Leid der Kinder ganz besonders betroffen und wütend gemacht«, sagt der Mediziner, der sich auch weiterhin für die Kinder in Sokoto engagieren will: 2002 ist der nächste Einsatz geplant.


Informationen: AWD Stiftung Kinderhilfe, Rendsburger Str. 34, 30659 Hannover,
Tel. (0511)9020268, Fax 9020250,
E-Mail: stiftung.kinderhilfe@awd.de.
Internet: http://awd-stiftung-kinderhilfe.de.
#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal