Ritter des »Geheimen Deutschland«

Im Fernsehen: »Stauffenberg« von Jo Baier

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.
Der Film des Jahres ist das wohl nicht. Aber vielleicht der des Tages. Immerhin hat sich hier ein ernstes Thema auf einen bevorzugten Sendeplatz geschlichen. Der 20. Juli 1944, Claus Graf Schenk von Stauffenbergs versuchter Tyrannenmord an Hitler! Bei der Filmpremiere vor einer Woche im Berliner Hebbeltheater sprach Joachim Fest darüber, dass der 20. Juli immer noch ein Gedenktag zweiter Klasse sei, der nicht »zum nationalen Bestand« gehöre. Der restaurativen Bundesrepublik der 50er Jahre waren die Widerständler gegen Hitler suspekt, man sah sich in anderen Kontinuitäten. Einmal Verräter immer Verräter, schwang da mit. Auch Georg Elser, der Hitler 1938 in einem Münchener Bierbrauhaus in die Luft zu sprengen versuchte, wird kaum gedacht. - Und der 20. Juli heute? Fest erinnert daran, dass Stauffenberg wohl nicht die heutige Bundesrepublik vor Augen gehabt habe, als er versuchte, Hitler zu töten. Dieser Widerstand war anders motiviert. Was die Produzentin des Films Gabriela Sperl nicht daran hindert, von der »Zivilcourage« Stauffenbergs zu sprechen. Nun, »zivil« ist wohl das falsche Wort. Wer war dieser Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der mit seinem Bruder Berthold das Attentat auf Hitler initiierte? Von den biografischen Hintergründen zeigt uns Jo Baier nichts. Dabei sind sie entscheidend. Die beiden Stauffenberg-Brüder waren eifrige Jünger des Dichters Stefan George, der einen Kreis von aristokratisch-idealistischen Gefolgsleuten um sich scharte. Es gibt Fotos, wo beide Brüder zu Füßen Georges sitzen. Ein romantisch-schwärmerisches Deutschlandbild, in dem sich Homoerotik mit Rittertugend in einer seltsamen Melange von Geistführerschaft verband, prägte auch die Stauffenbergs. Vor allem aber Georges »Geheimes Deutschland«, ein unerhört-hierarchisches Elitebewusstsein. Wer von den Jüngern dieses Kreises heiraten, eine längere Reise unternehmen, oder gar ein Buch veröffentlichen wollte - Ernst Bertram arbeitete sein Nietzsche-Buch ständig um, weil es Georges Vorstellungen nicht entsprach -, musste erst den Meister fragen, der fast immer ablehnte. Das hat deutliche Spuren bei den Stauffenberg- Brüdern hinterlassen. Nicht zufällig war die Kavallerie noch Claus Graf Schenks von Stauffenbergs Lieblingsgegenstand, als die Armeen vor Stalingrad schon untergingen. Dieser Soldat wollte ein Ritter sein. All dies deutet der Film nicht einmal an. Jo Baier (»Der Laden«) hat einen typischen Kompromissfilm gemacht. Ein tieferes Verstehen setzt hier Wissen bereits voraus. Für simplere Gemüter geht er auch als abendlicher Thriller durch. Das scheint das Kalkül für diesen Sendeplatz gewesen zu sein. Unbedingt sehenswert (und glaubwürdig) ist Sebastian Koch als Stauffenberg, der diesen Militär in seinem Widerspruch zeigt. Da ist einer, der weiß, Kampf ist etwas anders als Massen-Mord. Und an einem Verbrechen will er nicht teilhaben. Darum handelt gerecht, wer den Tyrannen tötet. Auch die anderen Verschwörer (Tresckow) sind präzise gezeichnet. Schlecht, weil billig, ist vor allem der Anfang. Stauffenberg kommt mit seiner Freundin zu spät in die Oper (Wagner natürlich!), der Führer ist auch schon da. In der Loge stehend bringt er es fertig - trotz Blechbläserlärm - eine Charakteristik Hitlers hinzutuscheln und gleichzeitig einen Heiratsantrag zu machen! Sebastian Koch und Nina Kunzendorf retten die Szene vor der bloßen Klamotte. Solche Szenen gibt es einige, man sollte sie schnell vergessen. Anderes aber ist glücklicherweise nüchterner und geht tiefer. Wir sehen die rasende Chronik eines Tages. Der »Wilhelm Tell« war nicht ohne Grund wegen der Tyrannenmord-Szenerie während der Nazi-Zeit verboten. Ein Tag (der letzte) im Leben eines Attentäters. Baier erklärt nichts, er zeigt nur den Ablauf. Vom Abflug am 20. Juli morgens um sieben Uhr mit der Bombe in der Tasche bis zur Erschießung im Hof des Bendlerblocks noch in der Nacht. Die schwankenden Mitverschwörer, wie der General Fromm (in Gefahr zum Film-Fiesling vom Dienst zu werden: Axel Milberg) beseitigen schnell Mitwisser, als sie hören, Hitler habe das Attentat überlebt. Fromm gelobt Hitler Treue, aber auch er wird kurz darauf hingerichtet. Da ist es nützlich, in den Tagebüchern Ernst Jüngers »Strahlungen II« nachzulesen, wie der 20. Juli in Paris ablief. Der Stab der Wehrmacht in Paris unter General Stülpnagel (nach misslungenem Selbstmordversuch hingerichtet) ließ nach dem Ausrufen des Geheimplanes »Walküre« SS und Gestapo erst verhaften und dann wieder frei. Bereits im Mai 1944 notiert Jünger, die Tätigkeit des in Abwesenheit zum Tode verurteilten General von Seydlitz, der die Widerstandstat beging zu kapitulieren und dann in russischer Kriegsgefangenschaft das Nationalkomitee Freies Deutschland mitbegründete, beunruhige Hitler. Über das NKFD fiel während der Stauffenberg-Premiere übrigens kein Wort, wie auch bei der Nennung der vielen Widerstandszirkel der kommunistische Widerstand mit keinem Wort erwähnt wurde. Ernst Jünger nahm in Plänen der Wehrmachtsopposition gegen Hitler eine zentrale Rolle ein. Seine Schrift »Der Friede« war als außenpolitische Programmschrift für die Zeit nach Hitler gedacht. Aber auch General Rommel, dem die Rolle des neuen Staatschefs zugedacht war, erwies sich als zu zögerlich. Jünger notiert resigniert: »Ich glaube, es war Gambetta, der fragte: "Haben sie jemals einen General gesehen, der mutig ist ?" Jeder kleine Journalist, jede Arbeiterfrau bringt mehr Courage auf. Die Auslese geschieht eben nach der Fähigkeit, den Mund zu halten und Befehle auszuführen; dazu kommt dann Senilität.« Jüngers »Der Friede« offenbart den gleichen Geist wie Stauffenbergs »Geheimes Deutschland«. Es ist ein für uns heute kaum mehr verständlicher Offiziersidealismus, der sie handeln ließ. Einer parlamentarischen Demokratie standen sie beide skeptisch bis ablehnend gegenüber. Dieses höchst konservative Herkommen darf man nicht in üblicher Feiertagsmanier verwischen wollen. Zur Größe einer Tat gehört die Größe der Hürde, die sie nehmen muss. Einen Eid brechen, das war für diese zu blindem Gehorsam erzogenen Militärs keine Kleinigkeit, auch wenn sie wussten, dass derjenige, dem sie Treue geschworen hatten, selbst längst alle Eide gebrochen hatte. Zu den Stärken von Jo Baiers Annäherungsversuch an Stauffenberg zählt, neben der genauen Chronik der Abläufe im Bendlerblock, dass er Stauffenberg eben nicht nachträglich zum Demokraten erklärt, den versuchten Tyrannenmord nicht auf den hier so törichten Begriff der »Zivilcourage« bringt. Von der Ostfront, hören wir, schreibt er an seine Frau, die Bevölkerung sei »unglaublicher Pöbel«, darunter »sehr viel Juden und Mischvolk«. Als Stauffenberg erschossen wird, ruft er: »Es lebe unser heiliges Deutschland!« Dieser Ruf bringt sein Weltbild auf den Punkt. Aus diesem Glauben an ein »heiliges Deutschland« bezog er immerhin als einziger den Mut, die Bombe in der Führerbaracke zu zünden. Geschichte konfrontiert uns beständig mit fremden Weltbildern, uns unerklärlichen Motivationslagen. Solch Fremdheit gehört zur Geschichte, die mehr und anderes ist als ein bloßes Selbstbestätigungsunternehmen. Ein Stein des Anstoßes und nicht nur ein auswechselbares Ornament des Hier und Jetzt. Das in knappen neunzig Minuten angedeutet zu haben, ist ein Verdienst dieses sehenswerten Films. Wozu sich weder Joachim Fest noch die anderen zahlreichen Festredner bei der Film-Premiere aufraffen konnten - jede auch nur beiläufige Erwähnung des kommunistischen Widerstands und seiner Opfer (wie kleinmütig) -, das ist für Ernst Jünger, als er am 16. September 1944 in sein Tagebuch schreibt, eine vornehme Selbstverständlichkeit. Das Regime zeige, den eigenen Untergang vor Augen, seine ganze Grausamkeit: » ... so beginnen die Lemuren eine große Anzahl von Morden zu begehen, die schon auf den Zustand nach ihrem Tod berechnet sind. Sie üben eine Art prophylaktischer Rache, der unter anderen der frühere Kommunistenführer Thälmann und der Sozialdemokrat Breitscheid zum Opfer gefallen sind. Wären sie intelligenter, so könnte man ihnen mit Seneca sagen: "Wie viele ihr auch umbringen werdet, eure Nachfolger werden nicht unter ihnen sein." So aber kann man nur hoffen, daß ihnen nicht allzu lange Fri...

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