Da ist Platz für etwas Neues

Tektonische Risse in der deutschen Parteilandschaft und das Projekt einer Linkspartei

  • Heinz Niemann
  • Lesedauer: 5 Min.
Zwar meinten schon Konservative - nach der Domestizierung der Grünen und faktischen Eliminierung der PDS aus der Bundespolitik -, das Land wäre bereinigt für eine marktradikale Kehre, der Weg freigeräumt zu einer Gesellschaft, wo man wieder Herr im Hause sein dürfe, ohne die lästigen Rücksichtnahmen auf Gewerkschaften, außerparlamentarische Bewegungen, Oppositionsparteien. Nun aber regte sich im Vorfeld einiger Landtagswahlen verbreitet Bürgerprotest gegen das bestehende Parteiensystem. Die Politiker- und Parteienverdrossenheit erreicht eine neue Qualität. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil an eine regierende SPD Hoffnungen geknüpft waren, die enttäuscht wurden. Auch der Bonus der Anti-Irakkriegshaltung ist verbraucht. In immer mehr Kommunen sammeln sich Bürger in Wählervereinigungen für eine alternative Politik. Die neuen politischen Vereine sprießen nicht nur aus Unmut über diese oder jene soziale Ungerechtigkeit, sondern zeigen Legitimationsdefizite des Systems an. Sie finden in dem Maße Zuspruch, wie die Integrationsfähigkeit der traditionellen Großparteien schwindet. Fraglich bleibt indes, ob diese »Rathaus-Parteien« dauerhaften Erfolg haben. Und naiv bleibt die Hoffnung, ein moderner bürgerlicher Verfassungsstaat könne ohne konkurrierende Parteien funktionieren. Das bestehende Wirtschaftssystem bedingt die Existenz widerstreitender Interessengruppen. Platz wäre für eine neue Linkspartei. Die dürfte kommen, denn die ersten sechs Ausgeschlossenen können nun gar nicht mehr anders. Ihnen jedoch werden Kenner der Geschichte wie auch der Ex-Parteivorsitzende und Noch-Kanzler entgegenhalten, dass alle Abspaltungen von der Mutterpartei erfolglos gewesen sind: Im Ersten Weltkrieg spaltete sich die USPD im Streit um Kreditbewilligung und Kriegsziele ab, kehrte aber mehrheitlich 1922 »reumütig« zurück. 1931 entstand durch Ausschluss der linken Sozialdemokraten die SAPD, deren Aktivisten sich gegen die Integrations- und Tolerierungspolitik der SPD-Spitze gewandt und vor der faschistischen Gefahr gewarnt hatten; sie wurde zwischen opportunistischer SPD und stalinistischer KPD zerrieben. 1932/33 verließen vom kampflosen Zurückweichen enttäuschte Mitglieder in Massen die Partei; nur das Verbot durch die Nazis kam einer Spaltung zuvor, die dann aber 1945 im grundsätzlichen Streit über Ost- oder Westorientierung erfolgte. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten fiel unter den Bedingungen der Systemkonfrontation, die antikommunistische Abgrenzungsbeschlüsse rechtfertigte, fiel die Disziplinierung linker Oppositioneller in der (west)deutschen Sozialdemokratie stets relativ leicht. Linkssozialistische Rebellen wie die im SDS und ihre Professorenfreunde wie Abendroth und Flechtheim (1961) oder Aufrüstungsgegner der Anfang-80er wie Coppick und Hansen schloss man kurzerhand aus. Für alle diese Fälle war es gravierend, dass es keine parteipolitische und organisatorische Alternative gab und eigenständige Partei-Gründungsversuche an den Umständen und mangelndem Geld scheiterten. Letzteres dürfte knapp sein, aber wesentliche Umstände haben sich geändert. Zum ersten fehlt die Möglichkeit, mit dem kommunistischen Buhmann zu drohen. Dafür existiert in Gestalt der PDS zumindest im Osten ein williger Bündnispartner. Und im Westen geistern fast 130000 jüngst aus der SPD ausgetretene Genossen herum. Zum Zweiten war die Mutterpartei, ihre Autorität und weltanschauliche Bindungskraft seit 1945 noch nie so beschädigt wie gegenwärtig, war sie noch nie so verwechselbar mit der CDU - ein Preis für den Aufstieg zur »Staatspartei«. Ein dritter Unterschied: Die Massendemonstrationen gegen den Irak-Krieg haben gezeigt, welches Mobilisierungspotenzial vorhanden ist. Im Osten ein Erbe der Endzeit der DDR: »Wir sind das Volk!« Solch Selbstbewusstsein und plebiszitäre Elemente beißen sich mit Machtambitionen politischen Parteien - umso mehr, wenn diese nur noch als Vertreter kleiner Interessengruppen ökonomisch Mächtiger empfunden werden. Die Entwicklung von der plebiszitären zur Parteiendemokratie bestimmt die jüngere Geschichte aller westlichen Verfassungsstaaten. Die Parteiendemokratie zeichnet sich dadurch aus, dass der Wille der jeweiligen Parteienmehrheit nicht nur die Politik der durch sie gebildeten Regierung bestimmt, sondern zugleich als Gesamtwille des Volkes ausgegeben wird. Über direkten oder indirekten Fraktionszwang wird darüber hinaus das Parlament unter den so erzeugten »Konsens« gepresst. Die Funktion als Kontrollorgan der Regierung entfällt weitgehend, da die Abgeordneten als Mehrheitsbeschaffer der Regierung fungieren, erst jüngst durch »Machtworte des Kanzler« demonstriert. Die Doppelfunktion vieler als Abgeordneter und Regierungsmitglied unterläuft zudem das Prinzip der Gewaltenteilung. Mehr unbewusst als bewusst dürfte sich in der Bewegung der neuen Bürger- und Wählervereinigungen und stärker noch bei den SPD- und DGB-Dissidenten der Wunsch manifestieren, diese negativen Erscheinungen des Parteiensystems zu beseitigen. So träfe eine linke Neugründung erstmals auf eine aktionsbereite Massenbasis. Das kürzlich bereits in Magdeburg für Sachsen-Anhalt gegründete landesweite »Bündnis sozialer Bewegungen« könnte dank professioneller Hilfe gestandener Gewerkschaftsfunktionäre wie Schmitthenner eine Vorreiterrolle spielen. In Brandenburg ringen mehrere Bürgerbündnisse und die Generationenpartei Graue Panther um eine landesweite Listenverbindung. Im Unterschied zu früheren Differenzierungen der Parteienlandschaft in den 70er und 80er Jahren greifen sie politische »Essentials« der Großparteien auf, für die sie andere Lösungen formulieren (manchmal radikaler als die Linke). Dies dürfte es den Großparteien unmöglich machen, sie zu integrieren. Der SPD jedenfalls fehlen jetzt all jene Bedingungen und Ressourcen, durch die sie bisherige Krisen überwinden konnte. Ihr ist der östliche »Sozialpartner« abhanden gekommen, es gibt keine ökonomischen Zuwächse zu verteilen, die eigene Führung hat die Verteidigung des Sozialstaates aufgegeben und sich selbst zum Vorreiter seines Abbaus gemacht. Die Voraussetzungen für die Organisation von gesellschaftlicher Gegenmacht waren noch nie günstiger. Die Parteienlandschaft zeigt tektonische Risse. Sie ist in Bewegung geraten, erfreulicherweise diesmal nach links.
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