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  • Kultur
  • In Köln wirbt die dienstälteste Kunstmesse „Art Cologne“ um Käufer

Bedeutungsvolle Belanglosigkeit

  • PETER 0. CHOTJEWITZ
  • Lesedauer: 3 Min.

Die „Art Cologne', diese dienstälteste und weltgrößte Messe zeitgenössischer Kunst, ist keine Veranstaltung, wo jeder mitsingen darf. Was die 70 000 Besucher jährlich im November in den riesigen Messehallen am Kölner Rheinufer zu sehen bekommen, ist nur das, was 320 auserwählte Galerien zum Verkauf anbieten.

Die Inbrunft, mit der die Aussteller den flanierenden Käufern im feinen Flanell und ihren beängstigend dünnen Damen nachschauen, zeigt schon, daß auch dieser Kunstmarkt nicht nur der Kunst dient, sondern zugleich ein Bordell ist. Der Ausdruck „Messe“ ist im „hillichen Kölle“ wörtlich zu nehmen.

Die „Art Cologne“ dient der eucharistischen Wandlung profaner Materialgebilde von überwiegend großer Belanglosigkeit in kultische Opfergaben, die infolge der sogenannten Transsubstantiation eine materielle Wertsteigeung erfahren und deshalb ästhetisch werden.

Das Kunstwerk ist damit vergleichbar einer alten Schrippe, aus der man mit etwas Gebimmel hundert Hostien anfertigen kann oder mit Galeristenchef Herrn Reinz gesprochen: „Die Aussteller zeigen das breite Spektrum von der Klassischen Moderne bis zur Avantgarde in einer unvergleichbaren Schau mit hohem Qualitätsanspruch.“

Die in Halle 5 neu aufgenommene Abteilung für Hiphop-Kunstobjekte (früher „Unfair“) zeigt freilich auch, wo es künftig lang geht. Galt in Avantgardezeiten der Satz: „Man braucht keine Kunst zu machen, um Künstler zu sein!“, so gilt heute: „Man braucht kein Künstler zu sein, um keine Kunst zu machen. Ein tüchtiger Verkäufer tut's auch, wenn er die Zulassung der ,Art Cologne' kriegt.“

Nun ist es nicht so, daß ein Snob und Bohemien (wie ich) nicht seinen Spaß hätte an vielen der schätzungsweise zehntausend Exponate. Man freut

sich über die alten Bekannten der europäischen „Moderne“, ärgert sich über das viele Mittelmaß der Westkunst seit den 70er Jahren, muß erkennen, daß Gilbert & George von hinten so aussehen wie von vorne, und schmunzelt darüber, daß die Jugend nun schon zum dritten Mal in diesem Jahrhundert die Tricks der Dadaisten entdeckt.

Auch der Zyniker kommt auf seine Kosten.

Eine Papierarbeit der Kollwitz von 1924, „Deutschlands Kinder hungern“, wechselt für 28 000 Mark den Mitfühler, und das ebenfalls sehr sozialkritische Blatt „Betriebsschluß“ von Felixmüller können sich die abgebildeten Proleten heute schon leisten, wenn sie mal ein Jahr auf den Jahreswagen verzichten.

Man kann auch richtig wertvolle Bilder kaufen, wenn man genug Geld hat und Wände, wo noch keine Bücher stehen. Der Gesamteindruck der Messe ist wie alljährlich zwiespältig.

Erstens, man braucht gutes Schuhwerk, was der Eleganz schadet.

Zweitens, allein die Pausen an den Sektbars kosten soviel wie eine mittelgroße Gouache von Cordula Güdemann.

Drittens, das meiste an Kunst gehört eher in die Dekorationsabteilung für den modernen Haushalt. Statt Tapete oder als Surrogat für Opas bronzene Statuetten, die entweder den Dornausreißer oder Bismarck darstellten (und auch die findet man auf der „Art Cologne“, ironisch kontextiert).

Kurz: Wozu in der DDR massenhaft Bürokratie benötigt wurde - die Kunst zu kastrieren -, schafft man in Köln mit gewöhnlicher Profitsucht, die aber verzeihlicher ist als Ideologie. Denn: „Why pay less, if you can pay more?“

Der internationale Kunstmarkt in Köln ist noch bis zum 16. November 1994 geöffnet und kostet Eintritt.

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