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Wasser marsch für Neu Seeland

In der trockenen Lausitz wandeln sich Tagebaulöcher zu Badeseen

  • Hendrik Lasch, Partwitz
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Lausitzer Seenplatte in Ostdeutschland wächst. Wo einst Kohle geschürft wurde, breiten sich Wasserflächen aus. An den Pegelständen hängen nicht nur Tourismusträume der Region, sondern auch der Wasserhaushalt von Berlin.
Zitternd bohrt sich die Lanze in den Grund. 40 Meter tief wird das Metallrohr in den Lausitzer Sand gedrückt. Die Erschütterungen, die auch in gehörigem Abstand noch in die Knochen fahren, rütteln die Körnchen gründlich zusammen. Alle vier Meter wird die Lanze angesetzt, immer wieder, bis aus der brüchigen Kippe des einstigen Tagebaus ein tragfähiges Seeufer geworden ist: Landschaftsverwandlung in der Lausitz.
Noch bietet sich am künftigen Partwitzer See der Blick auf eine gespenstische Landschaft. Baumkronen ragen aus dem silbern glänzenden Wasser. Auf kleinen Inseln haben Büsche für kurze Zeit Wurzeln geschlagen. Das Wasser steigt, unmerklich, aber unaufhaltsam. Es wird die Äste verschlingen, so wie die Kohle einst die Gehöfte von Groß Partwitz verschlang.
Von Klein Partwitz aus betrachtet, war der Bergbau vorwiegend ein Werk der Zerstörung. Ein gemauerter Torbogen am Ortsrand erinnert an das einstige Nachbardorf, das schon 1938, zu Beginn der industriellen Kohleförderung, auf der Streichliste stand und in den 60er Jahren dem Tagebau weichen musste. Eine ganze Volkswirtschaft hing an der Kohle, die aus Tagebauen zwischen Görlitz, Cottbus, Leipzig und Zeitz gebaggert wurde. Vor allem die Lausitz galt als Energiequelle für die gesamte DDR und wurde dafür um- und umgewühlt. Oder, wie es Mahmut Kuyumcu formuliert: »Die Naturressourcen wurden in unzulässig extensiver Weise ausgebeutet.«
Der Ingenieur Kuyumcu steht einem Unternehmen vor, das die geschundene Landschaft wieder in Ordnung bringen soll. Der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV), die 1996 aus zwei Vorgängerbetrieben gebildet wurde, obliegt die Sanierung der Braunkohlereviere. Die staatlich finanzierte Aufgabe, die seit 1990 über sieben Milliarden Euro verschlungen hat und noch weitere 1,7 Milliarden kosten wird, ist eine Mammutarbeit. Allein in der Lausitz wurden nach dem Ende der DDR 16 von 21 Gruben stillgelegt. Übrig blieben gähnende Löcher. Während das Wirken der LMBV zunächst durch gesprengte Schornsteine und abgerissene Kraftwerke charakterisiert war, gestaltet das Unternehmen in der Lausitz oder im Süden von Leipzig nun völlig neue Landschaften. In vielen Tagebaulöchern ist der Wasserspiegel so weit gestiegen, dass sich die künftigen Seen erahnen lassen. Waren der Senftenberger und der bei Leipzig gelegene Cospudener See bislang einsame blaue Flecken, so versprechen Landkarten für 2015 ausgedehnte Wasserflächen. Eine Gemeinde in Süd-Brandenburg hat sich bereits den Namen »Neu Seeland« gegeben.
Insgesamt 46 neue Seen werden in den einstigen Kohlerevieren entstehen, darunter mit dem 1800 Hektar großen Geiseltalsee in Sachsen-Anhalt das größte künstliche Gewässer in Deutschland überhaupt. Eine Seenplatte, die der Mecklenburger Konkurrenz machen könnte, ist kein Traum mehr. Bei 34 Seen hat die Flutung begonnen; neun sind bereits gefüllt. Auch die Rekultivierung der Bergbauflächen, also das Anpflanzen von Bäumen oder das Anlegen von Feldern und Naturschutzgebieten, ist zu zwei Dritteln abgeschlossen.
Vielerorts steigt mit den Pegelständen auch die Hoffnung, die Seen zu Touristenzielen entwickeln und damit den Arbeitsplatzverlust in der Energiewirtschaft ein wenig ausgleichen zu können. »Es wäre verkehrt, nicht auf diese Karte zu setzen«, sagt Dietmar Koark, Bürgermeister von Elsterheide und Mitglied eines Vereins, der die Region zur »Wasserwelt« entwickeln will. Wenn Koark auf den Partwitzer See blickt, sieht er Schiffe, die vor Ausflugsgaststätten anlegen; dazu Segelboote und Surfer oder Taucher.
Vor den Touristen, die Koark vor allem aus Richtung Berlin und Dresden erwartet, dürfte sich in absehbarer Zeit tatsächlich eine faszinierende Landschaft entfalten. Zwar lässt ein Besuch am bislang konkurrenzlosen und außerhalb der Hochsaison dennoch alles andere als überrannten Senftenberger See leise Zweifel an den hochgestochenen Erwartungen aufkommen. Mit ihren Vorhaben aber zeigt sich die Region gewappnet für den Ansturm. Derzeit wird noch mit motorisierten Touren durch eine »Wüstenlandschaft« gelockt; später soll das die »Wasserwelt« tun.
Dafür werden viele der Seen untereinander verbunden; einen ersten schiffbaren Kanal hat die LMBV bereits gebaut. Zusammen mit den Planern der Internationalen Bauausstellung (IBA) »Fürst-Pückler-Land« werden aber noch viel kühnere Träume entwickelt. Kuyumcu verweist auf Großräschen, wo die IBA unlängst am Ufer eines Tagebau-Restloches schon eine »Seeterrasse« einweihte.
Voraussetzung dafür, dass die teils verwegenen Vorhaben dem Praxistest unterzogen werden können, sind aber volle Seen. Ob die LMBV ihre selbst gesteckten Termine halten kann, wird dabei immer wieder bezweifelt. Die Lausitz ist eine trockene Region. Zwar darf nach langwierigen Verhandlungen mit Polen die Neiße angezapft werden. Spree und Schwarze Elster aber führten im Dürrejahr 2003 so wenig Wasser, dass monatelang kein Tropfen zum Auffüllen der Restlöcher abgezweigt werden konnte. Weil aus der gleichen Quelle auch der Spreewald und Berlin versorgt werden, sieht sich die LMBV zudem mit der Frage konfrontiert, ob die Seen auf Kosten von Spreewaldtouristen und Hauptstadtbewohnern gefüllt werden.
Nicht nur LMBV-Chef Kuyumcu weist derartige Befürchtungen zurück. Im Interesse Berlins müssten die Seen sogar »so schnell wie nur irgend möglich« gefüllt werden, sagt Uwe Grünewald von der Brandenburgischen Universität Cottbus. Für den Hydrologen ist es notwendig, den mit der Kohleförderung dramatisch gestörten Wasserhaushalt wieder ins Lot zu bringen, um zuverlässige Abflüsse in Richtung Berlin zu ermöglichen. Das enorme Grundwasserdefizit, das mit dem Leerpumpen der Gruben entstand und 1990 bei 12,7 Milliarden Kubikmetern lag, müsse ausgeglichen werden. Derzeit rechnet die LMBV noch mit einem Minus von 7,2 Milliarden Kubikmetern. Grünewald zweifelt nicht daran, dass die Wasserentnahme sowohl während der Flutung als auch danach zu Konflikten führt. Die Fischer brauchen volle Flüsse ebenso wie die Kahnbetreiber im Spreewald. Die Tagebauseen sind auf Zuflüsse angewiesen - nicht vorrangig wegen der Touristen, sondern weil das aufsteigende Grundwasser die Halden ausspült und ohne Frischwasser Seen voll »blanker Säure« entstünden. Andererseits brauchen auch die Berliner Gewässer aus ökologischen Gründen eine Mindestmenge. »Es ziehen viele an einer Decke, die eigentlich zu kurz ist«, so Grünewald.
Aus Sicht des Hydrologen wird in der Lausitz ein Zustand wieder hergestellt wie vor Beginn des Bergbaus. Schon damals wurde Berlin in Trockenjahren gelegentlich der Hahn abgedreht: Aufzeichnungen belegen, dass der notwendige Mindestzufluss im Zeitraum 1901 bis 1956 in 32 Jahren unterschritten wurde. Durch das Leerpumpen der Kohlegruben wurde der Abfluss in die Spree danach erhöht; jetzt kehrt wieder Normalität ein. Unproblematisch ist das auch deshalb nicht, weil Veränderungen des Klimas tendenziell für noch weniger Niederschläge sorgen: »Berlin braucht mehr Wasser als damals, bekommt aber weniger.«
Um so wichtiger ist das zügige Anheben des Grundwasserpegels in der Lausitz, woran die Tagebauseen nur einen kleinen Anteil haben. Damit der Prozess ohne Nachteile für andere Flussanlieger abläuft, entwickelte die LMBV ein ausgeklügeltes Steuerungssystem. »Wir sind gehalten, keinen Tropfen verfügbares Wasser vorbeifließen zu lassen«, sagt Kuyumcu. Gleichzeitig sucht das Unternehmen nach Alternativen für Trockenzeiten in der Lausitz, die sich alten Aufzeichnungen zufolge auch über mehrere Jahre erstrecken können. Erwogen wird der Bau einer Leitung, mit der Hochwasser aus der Oder abgeleitet werden könnte.
Der Hydrologe Grünewald betrachtet die jetzt eingerichtete LMBV-Flutungszentrale als »ersten kleinen Schritt« für ein umfassendes Wassermanagement im künftigen Neu-Seeland. Notwendig sei eine Art Wasserbewirtschaftungs-verband, in dem die Egoismen von Branchen ebenso überwunden werden müssten wie die der Länder. Ein solcher Interessenausgleich scheint jedoch noch mindestens so weit in der Zukunft zu liegen wie der Wassersport auf der Lausitzer Seenkette. LMBV-Chef Mahmut Kuyumcu setzt deshalb vorerst noch auf die Hilfe höherer Mächte: »Ich würde mir wünschen, dass es hier laufend regnet.«


Wüstes Brandenburg?
Geht die regionale Klimaveränderung im Südosten Deutschlands so weiter, könnte das Wasser in der Lausitz wirklich knapp werden. Das Klima in der Region wird in den nächsten Jahrzehnten immer wärmer und trockener, prognostiziert das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Vor allem im Sommer werde es voraussichtlich deutlich seltener regnen. Zugleich steigen die Temperaturen insbesondere im Winter. Die größte Gefahr geht nach Ansicht der Wissenschaftler vom deutlichen Sinken des Grundwasserspiegels aus. Dadurch könnte vor allem ab der Mitte dieses Jahrhunderts die Versorgung mit hochqualitativem Trinkwasser in Gefahr geraten. Die Meteorologen rechnen damit, dass die Jahresmitteltemperatur in Deutschland von heute 8,3 Grad Celsius bis 2100 auf 11 Grad steigen kann.
Brandenburg ist mit Jahresniederschlagssummen von 500 bis 650 Millimetern eher wasserarm (bundesweiter Schnitt: 774), zugleich jedoch noch reich an Gewässern und Feuchtgebieten. Wenn aber die Jahresniederschläge wie prognostiziert bis 2050 um acht bis zehn Prozent sinken und gleichzeitig die Verdunstung zunimmt, wird der Boden trockener. Flüsse und Moore könnten im Sommer trocken fallen und die ausgedehnten Niederungen und Feuchtgebiete verschwinden. Gleich hohe Niederschläge wie in Brandenburg lassen schon heute in tropischen Gebieten nur noch eine Halbwüste zu.
Ein abrupter Klimawechsel, wie er dem aktuellen Hollywood-Reißer »The Day after tomorrow« zu Grunde liegt, droht Europa dann, wenn die Warmwasserheizung des Kontinents, der Golfstrom versiegt. Das würde die Klimazonen erheblich nach Süden verschieben. Deutschland müsste dann mit einem kälteren und trockeneren Klima rechnen. (ND)
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