London wusste lange von Folterungen

Nach Bush bringen die Misshandlungen in Irak nun auch Blair in arge Bedrängnis

Nach US-Präsident Bush ist nun auch der britische Premier Tony Blair wegen der Misshandlung irakischer Gefangener in immer größere Bedrängnis geraten - und er ist geständig.

London (Agenturen/ND). Am Montag konnte der britische Regierungschef nicht länger abwiegeln und leugnen: Er gab offiziell zu, dass seine Regierung bereits vor Februar von den Vorwürfen gegen britische Soldaten gewusst habe. Verteidigungsminister Geoff Hoon war am Montagnachmittag zur Stellungnahme vor das britische Unterhaus geladen worden, und Blair gab sich optimistisch. Hoons Auftreten im Parlament, so hoffte er, werde deutlich machen, dass die Regierung zu allen Vorwürfen, die in einem Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) vom Februar erhoben worden sind, Ermittlungen eingeleitet habe. Einigen Anschuldigungen sei schon vorher nachgegangen worden. So ganz überzeugend war allerdings Hoons Klarstellung keineswegs, zumal sein Hauptstreben darin bestand, die Echtheit der unlängst im »Daily Mirror« veröffentlichten Folterfotos anzuzweifeln. Immerhin gab er bekannt, dass gegen zwei verdächtige britische Soldaten Verfahren eingeleitet worden sind. Am Sonntag hatte der unter Druck geratene Premier im französischen Fernsehsender France 3 erklärt: »Wir entschuldigen uns zutiefst bei allen, die von unseren Soldaten misshandelt worden sind.« Die Misshandlungen seien »vollkommen inakzeptabel«. Die Verantwortlichen würden gemäß der Disziplinarvorschriften der Armee bestraft. Ein Regierungssprecher behauptete am Montag, Blair selbst sei zu Anfang nicht über die Misshandlungsvorwürfe informiert worden. Auf die Anschuldigungen sei »auf operativer Ebene« reagiert worden. Der Vorsitzende der oppositionellen Liberaldemokraten, Charles Kennedy, verlangte, dass die Regierung veröffentlichen sollte, »was immer sie an Beweisen vom Roten Kreuz erhalten hat«. Das Ministerium lehnte dies unter Hinweis auf Vertraulichkeit ab, bestätigte aber, dass »bestimmte Fälle« bereits seit einigen Monaten untersucht wurden. Amnesty International gab zu Protokoll, dass die Organisation dem britischen Verteidigungsministerium bereits im Mai 2003 ein Memorandum zu den Missbrauchsvorwürfen geschickt habe. Im Juni hätten sich ai-Vertreter mit Verantwortlichen des Verteidigungs- und des Außenministeriums getroffen. Im Juli habe ai ein weiteres »Memo« geschickt sowie im Oktober einen Brief an Verteidigungsminister Geoff Hoon, in dem die Organisation ihre Besorgnis über die Misshandlungen irakischer Gefangener zum Ausdruck gebracht habe. Amnesty kritisierte, dass bislang keine neutrale, zivile Ermittlung eingeleitet wurde. Stattdessen untersuche die Militärpolizei die Vorwürfe geheim. Die Militärpolizei sei jedoch nicht unabhängig, wie es im Völkerrecht gefordert werde. »Folter und Misshandlungen« seien »völlig inakzeptabel«, erklärte ai. Eine vollständige und unabhängige Untersuchung müsse eingeleitet werden. Auch die US-Regierung steht weiter in der Kritik. Nach einem Bericht des Fernseh-Magazins »Spiegel TV« waren US-Außenminister Colin Powell, Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz seit Januar über die Misshandlungen irakischer Gefangener durch US-Soldaten im Gefängnis Abu Gharib informiert. Sie seien vom Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Jakob Kellenberger, bei einem Treffen in Washington persönlich auf die Missstände hingewiesen worden, sagte IKRK-Sprecherin Nada Dumani. Unterdessen kamen weitere Details an die Öffentlichkeit: Das US-Magazin »New Yorker« veröffentlichte ein bislang unbekanntes Foto eines nackten und verängstigten Gefangenen, der von Schäferhunden in Schach gehalten wird. Die US-Zeitschrift »Time« zitierte mehrere irakische Ex-Gefangene, die von Misshandlungen im Gefängnis Abu Gharib berichteten. Eine am Montag veröffentlichte Umfrage ergab, dass die Mehrheit der Briten nunmehr einen raschen Abzug ihrer Truppen aus dem Irak will. Laut »The Independent« sprechen sich derzeit 55 Prozent der Wähler dafür aus, die rund 800...

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