Gefängnisdirektor wurde versetzt

Justizministerin Richstein lässt 80 Häftlingsanzeigen nochmals überprüfen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Prügelvorwürfe im Strafvollzug Brandenburg/Havel haben zu personellen Konsequenzen geführt: Gestern wurde Anstaltsleiter Hermann Wachter von Justizministerin Barbara Richstein (CDU) in eine andere Anstalt versetzt. So sei die Aufklärung der Vorwürfe am besten gewährleistet, erklärte sie nach einer Sondersitzung des Rechtsausschusses. An der hatten auch Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg und Vertreter des Häftlingsbeirates teilgenommen. Prügelvorwürfe in brandenburgischen Gefängnissen wurden während der gestrigen Sitzung nicht zweifelsfrei bestätigt. Die Ministerin räumte nur ein, dass tatsächlich einem Gefangenen bei Herzinfarkt die medizinische Hilfe verweigert wurde. 80 Anzeigen seit 1999, die sich auf Häftlingsmisshandlungen beziehen, werden aber erneut staatsanwaltschaftlich überprüft, sagte die Ministerin. 57 Anzeigen stammen aus der JVA Brandenburg, wo über 700 Schwerkriminelle einsitzen. 36 dieser Anzeigen konzentrieren sich auf fünf Wärter, wurde bekannt. Doch ob die sich unter den sieben suspendierten Wärtern befinden, sagte die Ministerin nicht. Vorige Woche war der Vorwurf erhoben worden, dass maskierte Wärter im größten Gefängnis des Landes Häftlinge verprügeln und selbst medizinische Hilfe in Einzelfällen verweigert wurde. Seit mehreren Monaten recherchierte der RBB zu diesem Thema. CDU-Koalitionspartner SPD schlug gestern versöhnliche Töne an: Für den rechtspolitischen Sprecher Peter Muschalla ist die Versetzung des Anstaltsleiters überzogen. Aus Sicht des parlamentarischen Geschäftsführers Wolfgang Klein ist die Affäre beendet. Vorwürfe hätten sich relativiert, Rücktrittsforderung der SPD gegenüber der Ministerin habe es ohnehin nicht gegeben. Dagegen ist für den rechtspolitischen Sprecher der PDS Stefan Sarrach der Fall nicht abgeschlossen: »Man kann es drehen und wenden wie man will, sie ist keine genügend starke Ministerin«, sagte er. »Entweder sie hat es frühzeitig gewusst und falsch reagiert, oder sie wird vom eigenen Bereich über solch gravierende Dinge nicht informiert. Dann ist das ein Ausdruck von Führungsschwäche.« Schon in der Vergangenheit kamen Justizskandale ans Licht. So wurde enthüllt, dass sich Wärter in der Häftlingsküche versorgten oder dass sie sich von Gefangenen Geräte anfertigen ließen. Eine Ärztin bediente sich sogar aus der Gefängnisapotheke. Der innenpolitische CDU-Sprecher Sven Petke hat gestern Rücktrittsforderungen gegenüber der Ministerin als Unfug abgetan. Er war es auch, der schon vor einigen Monaten Folterandrohungen gegenüber Untersuchungsgefangenen unter bestimmten Umständen - so im Falle einer Kindesentführung - für gerechtfertigt hielt. Damals hatte die Ministerin zu solchen Überlegungen strikt Nein gesagt. Innerhalb der SPD hat der Fall jetzt allerdings noch Wahlkampfwert. »Vom Reisebüro Bräutigam zur Folterhölle Richstein?«, fragte ein SPD-Abgeordneter. Damit spielte er auf den ersten brandenburgischen Nachwende-Justizminister Hans Otto Bräutigam an, der nach der Flucht des Mörders Serow sofort die politische Verantwortung übernahm und beim damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe seinen Rücktritt angeboten hatte. Weil Serow jedoch relativ rasch wieder gefasst wurde, hatte Stolpe den Minister gebeten, die Amtsgeschäfte fortzuführen. Die damals oppositionelle CDU reagierte mit dem Begriff »Reisebüro Bräutigam« auf die erfolgreichen Ausbruchsversuche mehrerer Strafgefangener. Als nach 1999 für die CDU Kurt Schelter das Amt übernahm, hörten die Ausbrüche in der Tat auf. Schelter geriet dann aber wegen der so genannten Büroleiter-Affäre in Bedrängnis. Eine Richterin hatte sich vom Büroleiter des Ministers bedrängt gefühlt und das öffentlich gemacht. Damals wurde eine CDU-Alarmkette identifiziert, mit deren Hilfe einem in Haft sitzenden Sympathisanten geholfen werden sollte. Der brandenburgische Richterbund hatte den Rücktritt des Ministers gefordert. Der aber erfolgte erst, nachdem bekannt wurde, dass sich Schelter privat bei Immobiliengeschäften verspekuliert hatte und sein Gehalt gepfändet wurde. Der umstrittene Büroleiter wurde später - wie auch jetzt der Anstaltsleiter - hoch dotiert versetzt.
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