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Kolumbiens Präsident: Cali-Kartell am Ende

Samper läutete die Totenglocken für die Drogenmafia, doch Erben werden sich finden Von LEO BURGHARDT

  • Lesedauer: 4 Min.

„Das Cali-Kartell ist am Ende. Es hat aufgehört zu existieren.“ Kolumbiens Präsident Ernesto Samper höchstpersönlich gestattete sich, über Rundfunk und Fernsehen die Totenglocken für die Drogenmafia zu läuten.

Anlaß war die Gefangennahme des zweiten Mannes in der Kartellspitze, Miguel Rodriguez Orejuela. Dessen Bruder Gilberte, Boß des nach modernsten marktwirtschaftlichen Erkenntnissen organisierten Unternehmens, das 80 Prozent des lateinamerikanischen Kokains exportierte, sitzt bereits seit Juni.

Tatsächlich stecken nun neun von zehn Führern des Clans aus Cali hinter Gittern. Nur die Nr. 3 des Kartells ist noch in Freiheit: Sicherheitschef Helmer Herrera. Er hat nun alle 6000 Jäger des Vereinigten Sonderkommandos (BB) auf den Fersen und wird ihnen kaum entkommen; denn auch die Infrastruktur des Kartells ist weitgehend zerschlagen.

Trotzdem wird dieses Kapitel nicht so rasch abgehakt werden können wie das des Medellin-Kartells, das im Dezember 1993 nach Jahren erbarmungslosen Mafiaterrors zusammenbrach, nachdem sein Oberkapo Escobar im Kugelhagel einer BB-Einheit umgekommen war. Zwar bediente sich auch Escboar aller Mittel, um seinen Staat im Staate zu errichten: Korruption, Unterwanderung, Wohltätigkeit, Investitionen und Gewalt. Aber immer, wenn er ernsthaften Widerstand spürte oder ihm etwas nicht schnell genug ging und fast nie ging ihm etwas schnell genug -, griff der psychopathische Narziß auf die Gewalt zurück und brachte damit das ganze Land gegen sich auf, das ihn zunächst neugierig

und mrht nhnp Wohlwollen he-

obachtet hatte. Einer gegen den ganzen Staat - damit macht einer nicht nur in Kolumbien Furnrfi.

Die Cali-Riege operierte anders: Sie war längst nicht so vulgär-brutal. Kaum möglich, einen der Männer aus der Vorstandsetage ohne Krawatte anzutreffen. Im Grunde genommen waren sie vom selber Schlage wie die großen Waffenhändler. Deren Status hätten sie gerne erreicht, und vielleicht wäre es ihnen auch geglückt, hätten sie nicht einen unversöhnlichen Feind gehabt: Das konservative Establishment der USA, das sich um die Stabilität der Verteidigungsund Arbeitskraft sowie die technische Kreativität sorgte, in den USA natürlich.

Als Miguel Rodriguez Orejuela dem BB in die Falle ging, beeilte er sich, Präsident Samper zu bescheinigen: „Wir haben nie Geld in dessen Wahlkampagne gesteckt.“ Und warum hatte das Herr Medina, der Kassenwart der Wahlkampagne, behauptet? Medina ist ein Lügner!

Lügt Medina? Lügt Rodriguez Orejuela? - Medina sitzt inzwischen im Gefängnis, wegen Verdunklungsgefahr. Fernando Botero, Chef von Sampers Wahlkampfteam und später Verteidigungsminister, trat von seinem Posten zurück. Präsident Samper hat um eine Untersuchung gegen sich ersucht, die ihm bald bevorsteht. Hat seine Liberale Partei die umgerechnet 20 000 oder nach anderen Quellen 50 000 Dollar erhalten? Wenn ja, hat er ge-

wüßt, wer die Geldgeber sind? Oder hat das Kartell für alle Fälle vorgesorgt und Dutzende Fußangeln ausgelegt, um „zum Zweck der Rache eine institutionelle Krise großen Ausmaßes auszulösen“, wie Botero vermutet. Denn die den BB-Einheiten beigesellten Untersuchungsbeamten finden neuerdings auffällig viele vermeintliche Beweise für eine Kollaboration der Cali-Mafia mit Sampers Liberalen.

Der Mehrheit der 5000 Kolumbianer, die von Medien zur Sache befragt wurden, fiel es schwer, die Liberalen zu verdächtigen. Nicht etwa, weil man sie für besonders ehrenwert hielte, sondern eher für nicht so schrecklich dumm,

sich während einer Hoch-Zeit erfolgreicher Mafiajagd (Anfang bis Mitte 1994) auf einen bewußten Deal mit Rodriguez Orejuela einzulassen.

Die andere große bürgerliche Partei, die Konservative, die sich seit Jahrzehnten mit den Liberalen in die Macht teilt und in Sampers Kabinett mit drei Ministern vertreten ist, will erst einmal abwarten, was geschieht, ehe sie über ihr Verbleiben in der Regierung entscheidet. Auch sie kann und will es sich nicht leisten, Staub aufzuwirbeln, der sich anschließend womöglich auch auf ihr ablagern könnte.

Samper jedenfalls will „fortfahren, den illegalen Drogenhandel zu bekämpfen, denn er

bedroht unsere nationale Sicherheit und korrumpiert die Gesellschaft“. Wie wahr! Adressaten nannte er nicht.

Wer wird die Nachfolge der beiden Kartells antreten? Sind die überhaupt bis in die Wurzeln zerstört? Treten nun einige Guerilla-Abteilungen, die mit der Mafia oder gegen sie schon seit Jahren Drogengeschäfte machen, in die Fußtapfen ihrer Ex-Partner bzw. Ex-Rivalen? Wird ein neues Kartell aus der Asche steigen, etwa ein Mischkonzern der Hinterbliebenen aus der zweiten Reihe? Anwärter auf die Milliarden, die auf der Straße liegen, solange die Nachfrage nicht versiegt, werden sich finden wie Sand am Meer.

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