Auch Studenten sollen künftig dienen

Russland will Wehrdienstgesetz ändern

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: ca. 1.5 Min.

Laut einer höchst unpopulären Vorlage der russischen Regierung soll es Freistellungen vom Wehrdienst künftig nur noch für Abgeordnete und aus gesundheitlichen Gründen geben. Bisher waren auch Studenten befreit.

Hohe russische Militärs laufen seit 1995, als Moskau den ersten Tschetschenien-Krieg begann, gegen die Wehrdienstbefreiung von Studenten Sturm. Und bei Verteidigungsminister Sergej Iwanow fanden sie offene Ohren. Offizielle Begründung: 2008 soll der Wehrdienst auf ein Jahr verkürzt werden. Die dadurch entstehende Lücke - 350000 Planstellen - soll mit Berufssoldaten, vor allem aber mit Studenten aufgefüllt werden. Sogar Bildungsminister Andrej Fursenko äußerte dagegen »Bedenken«. Menschenrechtsorganisationen, allen voran die Komitees der Soldatenmütter, haben die Jugend bereits zu Massenprotesten und zum Boykott der Einberufung aufgerufen. Massenwirkung, fürchtet die »Nowyje Iswestija«, sei jedoch unwahrscheinlich, die Betroffenen würden lieber nach einer »individuellen Lösung« suchen: Freikauf. Das geplante Gesetz, schreibt das Blatt, öffne der »totalen Korruption« Tür und Tor. Laut Alexej Arbatow, Vizechef der sozialliberalen Partei »Jabloko«, leistet sich Russland einen militärischen Wasserkopf. In Armee und paramilitärischen Einheiten anderer Ministerien dienten insgesamt 2,5 Millionen Menschen mit Schulterstücken. Rund ein Viertel davon sind Rekruten. Dazu kommen etwa 700000 zivile Angestellte. Dabei seien reale äußere Bedrohungen nicht erkennbar, die Einberufung von Studenten werde den Konflikt zwischen Gesellschaft und Armee nur weiter vertiefen. Zumal auch das Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, das zu Jahresbeginn in Kraft trat, kaum praktische Wirkung zeigt. Bisher gab es erst knapp 200 Anträge, denn Zivildienstleistende sind erheblich schlechter gestellt als jene, die den Dienst an der Waffe leisten, und die Militärbürokratie schüchtert Antragsteller ein. Gegen die Änderung des Wehrdienstgesetzes sprachen sich jüngst denn auch 83 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage aus. Selbst loyale Politologen wie Mark Urnow von der Stiftung »Ekspertisa« fürchten, das Gesetz werde Präsident Wladimir Putin erheblichen Popularitätsverlust einbringen. Vor allem bei politisch aktiven Jugendlichen und deren Eltern. Nach unpopulären Reformen im Sozialbereich und einem umstrittenen neuen Gesetz zu Demonstrationen sackten die Zustimmungsraten für den Präsidenten bereits von über 70 Prozent bei den Wahlen im März auf unter 50 Prozent ab. Vor allem bei Ärmeren, die ihre Probleme nicht durch Beamtenbestechung lösen können, meint Boris Kagarlitzki, Direktor des Instituts für Globalisierung, werde s...

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