Deutsche müssen Polnisch lernen

Die befürchtete »Flut« von Arbeitskräften aus Polen ist ausgeblieben

  • Stefan Mentschel
  • Lesedauer: 3 Min.
Entlang von Oder und Neiße orientiert sich die Wirtschaft immer mehr nach Osten. Doch noch erschwert ihnen die Übergangsregelung zum Arbeitsmarkt das Geschäft.
»Wir haben viel geübt«, sagt Marcin Sedra und lächelt. Der Mittdreißiger arbeitet für den polnischen Tankstellenbetreiber Apexim AB, der in seinen Filialen entlang der Grenze deutsche Arbeitnehmer beschäftigt. »Vor drei Jahren haben wir in Porajow, am Übergang zum sächsischen Zittau, den ersten Deutschen eingestellt«, erinnert er sich. Inzwischen seien es 15. Die ersten Anträge für Arbeitsgenehmigungen hätten die Bürokraten in den polnischen Amtsstuben ein wenig überfordert. »Das hatte es noch nicht gegeben«, erzählt Sedra. Es habe mehr als drei Monate gedauert, bis die für ein Jahr gültige Erlaubnis ausgestellt war. Seit der EU-Erweiterung sei das Verfahren ein bisschen einfacher. Probleme gebe es aber noch immer. Zwar gehört die freie Wahl des Arbeitsplatzes zu den Grundrechten in der Europäischen Union. Doch die meisten westeuropäischen EU-Staaten haben ihren Arbeitsmarkt aus Angst vor »billigen« Arbeitskräften aus den Beitrittsländern abgeschottet. Vor allem die Bundesrepublik war treibende Kraft bei der Durchsetzung dieser Beschränkungen, die für maximal sieben Jahren gelten sollen. Im Gegenzug hat Polen ähnliche Restriktionen eingeführt. Martin Patzelt, Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder), ärgert sich über die Beschränkungen. Immer wieder betont er, wie wichtig es sei, polnischen Arbeitnehmern Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu gewähren. Der CDU-Politiker hofft, durch deutsches Know-how, verbunden mit den geringeren Lohnkosten, Investoren in die wirtschaftlich angeschlagene Grenzregion locken zu können. Bei den Gewerkschaften hat er sich mit dieser Idee jedoch keine Freunde gemacht. »Seit dem 1. Mai sind offiziell 30000 Polen auf Arbeitssuche in die EU gegangen«, betont Holger Köhn von der Deutsch-Polnischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft mit Sitz in Gorzow, rund 50 Kilometer östlich der Oder. Von der befürchteten »Flut« könne also keine Rede sein. In die andere Richtung gebe es keine verlässlichen Zahlen. Dabei hätten Deutsche durchaus Chancen, im Nachbarland Arbeit zu finden. Vor allem in der Gründungsphase suchten westliche Unternehmen Experten für den Aufbau der Produktion, sagt Köhn. Darüber hinaus wünschten sich polnische Firmen Westeuropäer, die sich auf den internationalen Märkten auskennen. Die Übergangsregelungen erschwerten jedoch das Miteinander, beklagt der Wirtschaftsfachmann. Und zwei Monate nach dem Beitritt gebe es bei Behörden auf beiden Seiten der Grenze noch immer Unklarheiten, wie mit der Regelung und möglichen Ausnahmen umgegangen werden solle. Alina Träthner vom Service Centre Polen der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Frankfurt (Oder) gehört zu den wenigen, die sich im Verordnungsdschungel zurechtfinden. Seit dem 1. Mai sei der Beratungs-Bedarf immens gestiegen, sagt sie. Vor allem polnische Dienstleister würden sich an die IHK wenden, um zu erfahren, unter welchen Voraussetzungen sie im Nachbarland arbeiten dürfen. So könne etwa der Chef einer Malerfirma in Deutschland Aufträge annehmen und ausführen. Mitarbeiter dürfe er jedoch nicht mitbringen. Ein weiteres Problem sei die Sprachbarriere. Während viele Polen Deutsch sprächen, gebe es nur wenige Deutsche mit polnischen Sprachkenntnissen, sagt Alina Träthner. Doch Unternehmen wollten die Vorteile der Grenzregion nutzen. Da sich die Wirtschaft entlang von Oder und Neiße zunehmend in Richtung Osten orientiere, bestehe ein großer Bedarf an zweisprachigen Mitarbeitern. Geeignete Deutsche gebe es aber kaum, und Polen könnten auf Grund der Übergangsregelungen nur mit großem Aufwand eingestellt werden. Allerdings siedelten sich immer mehr Polen aus Westdeutschland - zumeist mit deutscher Staatsbürgerschaft - in der Grenzregion an. Alina Träthner bringt es auf den Punkt. Wenn die Übergangsfrist nicht genutzt werde, um den Deutschen Polnisch beizubringen, dann passiere das, was jetzt nur verschoben sei: »Gut ausgebildete Polen werden die Jobs in der Grenzregion bekommen.« Das Fazit könne daher hur lauten, die Sprachkompetenz der Deutschen zu fördern. Der Zittauer Frank Fetzko. der als Tankwart bei Apexim AB in Porajow arbeitet, spricht ein bisschen Polnisch. »Aber da wir hier 99 Prozent deutsche Kunden haben«, sagt er fast entschuldigend, »fällt das Lernen sehr schwer«.
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