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Gewerkschaften – Mitmacher oder Gegenmacht?

PDS-Konferenz: Auf Forderung nach gesellschaftlicher Veränderung darf nicht verzichtet werden Von ROSIBLASCHKE

  • Lesedauer: 4 Min.

Es war die dritte Gewerkschaftspolitische Konferenz der PDS, die am Wochenende in Berlin stattfand. Rund 150 Betriebsräte, Vertrauensleute, Gewerkschaftsfunktionäre, Senioren, Vertreter von Arbeitsloseninitiativen, Abgeordnete -Linke im politischen Sinne des Wortes mit und ohne PDS-Mitgliedskarte in der Tasche - debattierten zwei Tage lang über das Thema „Gewerkschaften zwischen Co-Management und Gegenmacht“.

Die 150 suchten Antworten darauf, wie Widerstand aussehen muß in einer Zeit, da massenhafte Arbeitsplatzvernichtung und Deregulierung die bundesdeutsche Wirtschaftsund Sozialpolitik bestimmen und Gewerkschaften mehr und mehr um der Beteiligung am betriebswirtschaftlichen Management willen auf Forderung nach gesellschaftlichen Veränderungen verzichten.

Die PDS tut sich nach wie vor schwer in der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, obwohl ihre „sozialistische Tradition sie zutiefst mit der Gewerkschaftsbewegung verbindet,“ wie Parteivorsitzender Lothar Bisky sagte. Daß das nicht ausschließlich an der PDS liegt, ist jahrelange Erfahrung. Nur langsam wird die Ausgrenzung - jüngst auf dem Kongreß der IG Chemie erlebt überwunden. Gewerkschaftspolitik ist ein „Kernbestandteil unserer Politik,“ betonte Bisky Vor allem an der Basis müßten noch mehr Ar-

beitsgemeinschaften für linke Gewerkschafter entstehen.

Leider konnte die Konferenz kein ausgewogenes gesamtdeutsches Bild dieser Aktivitäten zeigen, da die überwiegende Mehrheit der Teilnehmerinnen aus Westdeutschland kam. Und außerdem vor allem die Erfahrungen mit Gewerkschaftsarbeit in den großen Konzernen mitbrachten. Die Strukturen in den neuen Bundesländern aber sehen nach der Entindustrialisierung ganzer Regionen inzwischen anders aus.

Frank Deppe, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Marburg, hob hervor, daß die Gewerkschaften europaweit in einer tiefen Krise stecken, was sich in Mitgliederverlusten, Finanzschwäche, Rückgang der Streiktätigkeit ausdrücke. Der „Zusammenbruch des Staatssozialismus“ habe Auswirkungen auf die Arbeiterbewegung der ganzen Welt. Auch die westdeutschen Gewerkschaf-

ten verloren ihre Vorbildwirkung. In der Übergangsphase zu einem globalen, transnationalen Kapitalismus geht die Entindustrialisierung mit

äußerster Brutalität vor sich, so Prof. Deppe. Die bisherige Basis der Gewerkschaften, die Arbeiterklasse, schwindet. In den 80er Jahren hat sich das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit zugunsten des Kapitals verschoben. Die Politik der Gewerkschaften aber ist pragmatischer und weniger ideologisch geworden.

Nach Prof. Deppe entwickelt sich auf der Betriebsebene eine Koalition von Management und Betriebsrat. Mit der Orientierung auf eine „progressive nationale Wettbewerbsfähigkeit“ werde eine neue Sozialpartnerschaft angestrebt. Co-Management ist für ihn eine neue Form der Klassenzusammenarbeit. In diesem Zusammenhang bezeichnete er die Thesen zum DGB-Grundsatzprogramm als Skandal.

Sein Fazit: Um die Kampffähigkeit der Gewerkschaften zu erhöhen, müßten sie über die Mitgestaltung der neuen Betriebsweisen hinaus das gesellschaftliche Umfeld mitgestalten. Die Neuverteilung von Reichtum und Arbeit „geht nicht ohne massive Eingriffe in die bestehenden politischen Machtverhältnisse,“ sagte er

Gerade um mehr Mitbestimmung der Arbeiter und Angestellten in den neuen Formen der Produktionsweise, z. B. Gruppenarbeit, entspann sich in den Arbeitsgruppen die Diskussion. Co-Management bedeutet nicht nur Mitmachen, stellte Anne Allex vom Berliner Arbeitslosenverband fest. Das kann auch Formen von Widerstand zum Inhalt haben, wie Opel Bochum und Mercedes Bremen beweisen.

Wie er durchgesetzt werden kann, schilderte Gerd Graw von VW in Salzgitter Dort wurde auf Druck der Gewerkschafter die Einführung von Gruppenarbeit abgebrochen, weil die sozialen Komponenten keine Rolle mehr spielten. Die „Mitbestimmung der Arbeitnehmervertretungen darf nicht unter den Hammer kommen.“ Das aber setzt voraus, so Hartmut Ohm von der Lufthansa Technik Hamburg, daß Betriebsräte und Vertrauensleute ausreichend informiert und rechtzeitig in die Vorbereitung neuer Betriebsweisen einbezogen werden. Die Rationalisierung und damit die Entlassung von Kollegen dürfen nicht in die Entscheidung der Arbeitnehmervertretungen delegiert werden, was das Management will (Achim Hollstein, Hamburg).

Die Gewerkschaften und die Arbeitslosen - dieses Thema gab weiteren Stoff zu heftiger Diskussion. Nur angetippt wurden neue Formen der Wohngebietsarbeit mit Erwerbslosen, wie sie in den ostdeutschen ehemaligen Industriezentren entstehen. Der IG-Metaller Willi Seidel berichtete darüber aus Dresden. Die arbeitslose Gewerkschafterin Wera Quoß aus Hennigsdorf lenkte die Aufmerksamkeit darauf, der Entsolidarisierung zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen zu begegnen. Dieser Verantwortung werden die Gewerkschaften nicht genug gerecht. Angesichts von 1,5 Milliarden Überstunden in einem Jahr müßten die Betriebsräte jede weitere verweigern, um neue Arbeitsplätze zu fördern. Das aber stößt in Ost und West immer mehr auf Widerstand.

Auf der PDS-Gewerkschaftskonferenz waren ausländische Arbeitnehmerinnen nur vereinzelt vertreten. Auch deshalb spielten der Nationalismus der Standortdebatte und die internationale Solidarität nur verbal eine Rolle.

Die Konferenz konnte und wollte keine fertigen Rezepte für Gewerkschaftsarbeit und Arbeitskampf abliefern. Aber sie hat die Debatte ums Wohin der Gewerkschaften belebt.

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