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Auf Schlachthof werden Denkmäler geschlachtet

Die ersten Backsteinhallen in Prenzlauer Berg sind abgeräumt / Bündnis 90/Grüne fordern Abrißstopp

  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Teil des Alten Schlachthofes an der Eldenaer Straße in Prenzlauer Berg hat sich in eine matschige Brache verwandelt. Dort sind sechs Hallen des ab 1878 errichteten Komplexes, der 1990 noch von der DDR unter Denkmalschutz gestellt wurde, bereits abgerissen. Und für weitere hat die Stadtentwicklungsgesellschaft (SES), die im Senatsauftrag auf dem Gelände ein neues Stadtviertel mit 2300 Wohnungen und 5000 neuen Arbeitsplätzen plant, die Abrißanträge schon gestellt.

Während bisher vor allem die ansässigen Gewerbetreibenden gegen den Kahlschlag Front machten, weil sie das Feld räumen sollen, regt sich jetzt auch verstärkt Widerstand von Parlamentariern und Denkmalpflegern. „Das Gebiet ist für die Berliner Geschichte von unverzichtbarer Bedeutung und darf nicht einem Null-Acht-Fünfzehn-Humunkulus geopfert werden“, empört sich die baupolitische Sprecherin von Bündnis 90/Grüne, Elisabeth Ziemer. Bei einem Rundgang mit ihrer Abgeordnetenhausfraktion über das Gelände mühte sich die SES-Geschäftsführung ver-

geblich, die Einwände auszuräumen. Aus finanziellen und städtebaulichen Gründen könne man nicht alles erhalten, so die SES-Geschäftsführer Manfred Nicolovius und Rainer W Klaus. Die Sanierung der Backsteingebäude sei zu teuer,

außerdem ließen sich für sie nur schwer Nutzungen finden. „In den Hallen kann man eben schlecht wohnen.“

Auf dem 50 Hektar großen Areal sollen nur Fragmente des Schlachthofes erhalten bleiben: Die vier Hallen entlang

der Landsberger Allee, für die man demnächst per Investorenauswahlverfahren Nutzer suchen will (Frischmärkte, Sport- und Freizeiteinrichtungen), die Direktionsvilla an der Thaerstraße, eine riesige Rinderauktionshalle, den alten Eingangsbereich an der Eldenaer Straße sowie einige Hammelställe. Der „lange Jammer“ hat noch eine Chance, falls ein Investor für die 400 Meter lange Brücke zum S-Bahnhof Storkower Straße eine Verwendung hat. Die SES nennt das „städtebauhistorische Spurensicherung“, die vom Senat 1993 abgesegnet wurde.

Die Bündnisgrünen und eine Bürgerinitiative wollen möglichst alle historischen Gebäude erhalten. Besonders schmerzt der geplante Abriß der Lederfabrik - mit Zitaten von Schinkels Bauakademie -, der Darmschleimerei - mit prächtigem Lichthof ist sie laut Denkmalgutachten einmalig und unbedingt erhaltenswert - und der Wursterei - mit eindrucksvollem Tonnengewölbe hinter einer Bauhausfassade. Die SES-Chefs zucken bedauernd die Schultern, aber ohne die Abrisse sei das Gelände nicht zu vermarkten. Ziemer

nennt das pures Renditedenken und planerische Phantasielosigkeit. Wenn es sogar möglich sei, Kirchen umzunutzen, sollte das bei diesen Gebäuden erst recht gelingen. Sie befürchtet, daß wie beim Stadion der Weltjugend erst tabula rasa gemacht wird, bevor überhaupt Investoren und Nutzungskonzepte feststehen.

Die SES, die 1997 mit dem Hochbau beginnen will, wartet auf die nächsten Abrißgenehmigungen. Doch so schnell geht's damit nicht mehr. Nach dem neuen Denkmalschutzgesetz darf nur noch mit Zustimmung des Landeskonservators abgerissen werden. „Der läßt sich Zeit“, sind die SES-Chefs sauer. Wegen der finanziellen Nöte Berlins kommt möglicherweise auch alles ganz anders. Der Bausenator denkt schon über eine zeitliche „Streckung“ nach, und Elisabeth Ziemer setzt auf einen Runden Tisch „Alter Schlachthof und die neue Zusammensetzung im Bezirksamt Prenzlauer Berg: „Dorothee Dubrau als Baustadträtin wird mit dem Denkmalschutz ganz anders umgehen.“

BERND KAMMER

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