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Ein Paket Erziehungsberatung, bitte

Debatte über europäische Bildung und grenzüberschreitende Jugendarbeit

  • Uwe Kraus, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Über die Europäische Union wird täglich geredet und geschrieben - aber wie gegenwärtig ist der Europagedanke in Bildung und Erziehung?
»Europa ist uns ganz nah«, sagt Michael Schneider, sachsen-anhaltischer Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten. Erst recht gilt das für junge Leute: Der Kontakt zum europäischen Ausland werde mehr zum Alltag der Jugend gehören als in früheren Generationen und für jeden Einzelnen an Bedeutung gewinnen. 40 Schulen des Landes seien über das Programm Sokrates drei Jahre lang in multilaterale Bildungsprojekte eingebunden, teilte Schneider dieser Tage bei der Fachtagung »Die Zukunft der Jugendhilfe im Kontext des erweiterten Europas« in Magdeburg mit. Mehr als sachsen-anhaltische 200 Schulen pflegten Partnerschaften mit rund 400 Einrichtungen in 30 Ländern, jährlich gingen 3000 Schüler und 200 Lehrer zu Partnern auf reisen. Weg vom puren Tourismus Zahlen, die Gernot Quasebarth, den Vorstandsvorsitzenden des Kinder- und Jugendringes Sachsen-Anhalt, wenig beeindrucken. »Das Thema Europa ist selbst für uns hauptberuflich in der Jugendarbeit Tätige unübersichtlich, trotz Freiwilligendiensten, Studium oder Lehre im Ausland, trotz diverser Programme.« Und Martin Strecker von der Arbeitsgemeinschaft Evangelische Jugend Hannover hält »die Akzeptanz des Europagedankens für ziemlich wacklig. Die Jugend muss ihn mittragen.« Werner Theisen vom Magdeburger Sozialministerium sieht die entscheidende Hürde darin, den jungen Menschen, denen maximal geografisch klar sei, wie weit Europa reicht, den Europagedanken nahe zu bringen. »Unser Ziel ist es, die europäische Idee pädagogisch zu vermitteln und wegzukommen vom puren Tourismus«, sagt Carola Lakotta-Just, 1. Vizepräsidentin der Europäischen Bewegung in Sachsen-Anhalt. »Wir haben 16 Europaschulen im Land, quer durch die Bildungslandschaft. Im November gründen wir das Bundesnetzwerk Europaschule. Wie nötig das ist, untermauert die Politikwissenschaft-Studentin Carolin Rüger von der Uni Würzburg, die 13 Jahre in Bayern zur Schule ging, ohne dass der Europagedanke im Unterricht vermittelt wurde. Jugendarbeit als Dienstleistung - das stellt Prof. Wolfgang Berg vom Fachbereich »Soziale Arbeit. Medien. Kultur« der Fachhochschule Merseburg in Frage: »Es gibt Bedürfnisse, die nicht über den Markt befriedigt werden und Dienstleistungen, die nicht verkauft werden können.« Die Erziehungsberatung in der Familie zähle dazu. Es sei unwahrscheinlich, dass sich eine Familie diesen »Service« leisten könne. Die Dienstleistung koste natürlich, der Sozialstaat bezahle. Für Gruppenstunden ökologischer Jugendverbände etwa gibt es keinen kommerziellen Anbieter, weil sich das nicht rechnet. Chance zum interkulturellen Lernen Berg warnte davor, der Jugendhilfe das Etikett Dienstleistung aufzukleben. Dass die EU keine klare Aussage über einen nicht-staatlichen, nicht-kommerziellen, also dritten Sektor getroffen habe, der gemeinnützige Unternehmen und soziale Dienste umfasst - das ist für Berg ein Skandal. Lobeshymnen auf die Bürgergesellschaft seien Schall und Rauch, wenn Jugend- und Wohlfahrtsverbände, Initiativen und freie Träger dem Markt einverleibt werden, sofern sie irgendwelches Geld erhalten. Für ihn sei Markt im Bereich der sozialen Dienste praktisch kaum vorstellbar, so Berg. Wenn Kommunen ein Paket Erziehungsberatung als Dienstleistung einkaufen oder Eltern pädagogische Beratung suchen würden, dürften im EU-Zeitalter die Angebote nicht auf deutsche Anbieter beschränkt werden, meint Berg. Dass das keine Zukunftsvision ist, bekräftigte Halles Jugendamtsleiter, Lothar Rochau. An der polnischen Grenze werde darüber schon nachgedacht und bereits jetzt gebe es Angebote für Heimplätze im Bereich der »Hilfe zur Erziehung« aus Ungarn und Tschechien, wo es qualifizierte deutschsprachige Fachkräfte gibt. Diese Öffnung bietet auch die Chance zum interkulturellen Lernen. »Ein Markt der Jugendhilfe existiert schon«, sagt Martin Strecker. »Vor den freien Träger steht jetzt die Aufgabe, ihr Profil so zu schärfen, dass sie sich erkennbar von kommerziellen Trägern abheben.«
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