Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

HEB Endlich Frieden?

Gabi Mischkowski: Bosnische, serbische, kroatische Frauen wollen nach dem Krieg einfach normal leben

  • Lesedauer: 3 Min.

Gabi Mischkowski

Die Historikerin arbeitet seit 1993 im Frauen-Therapie-Zentrum im bosnischen Zenica. Es wurde vom Kölner Verein Medica e.V initiiert.

Foto: Andrea Theis

? Hat die Öffentlichkeit die Frauen im ehemaligen Jugoslawien vergessen?

Ja, denn die blutigen Bilder kommen nicht mehr in die Wohnzimmer. Dabei sind die Flüchtlinge nach wie vor Flüchtlinge und die Vertriebenen nach wie vor Vertriebene. Und diejenigen, die den größten Horror erlebt haben - Folter, Vergewaltigung, Mord an Angehörigen -, werden einfach allein gelassen.

? Sie sind vor wenigen Tagen aus dem Frauen-Therapiezentrum im bosnischen Zenica zurückgekehrt. Wieviele Frauen werden dort zur Zeit betreut?

In den drei Häusern von Medica können 70 bis 80 Frauen und Kinder gleichzeitig betreut werden. Darüber hinaus gibt es noch die ambulante Psychotherapie und die ambulante medizinische Betreuung sowie Rechtsberatung, Unterstützung bei der Wohnungssuche, Ausbildung, Kurse. Unsere medizinische Ambulanz, insbesondere diegynäkologische, ist momentan eine der wenigen, in der es überhaupt noch kostenlos Medikamente und Untersuchungen gibt.

Seitdem das Dayton-Abkommen in Kraft trat, können wir unsere mobile Ambulanz über?U dort einsetzen, wo bisher keine frauenspezifische medizinische Behandlung möglich war ? Hat sich die Situation der Frauen inzwischen gebessert, finden sie langsam ihren Frieden?

Davon kann noch keine Rede sein. Sie versuchen, einfach wieder ganz normal

zu leben. Unzählige Frauen müssen ja grausamste Erlebnisse wie sexuelle Folter, brutale Vertreibung oder Mord an Angehörigen verarbeiten. Diese schweren Traumata zu therapieren, ist eine langfristige Aufgabe, für die qualifizierte Psychologinnen und Ärztinnen gebraucht werden. Und noch viel, viel Zeit,. Das Ende des Krieges bedeutet auch nicht, daß es keine Gewalt gegen Frauen mehr gibt. Demobilisierte Soldaten kehren nach Hause zurück, die Schreckliches gesehen oder getan haben. Sie kriegen fast keine Hilfe für den Umgang mit ihren Traumata und lassen oft ihre Aggressivität an Frauen und Kindern aus. Dieses Problem ist gesellschaftlich nicht erkannt. Das heißt, gerade jetzt brauchen die Frauen Hilfe. ? Woher nehmen Sie Geld und Mittel, wer unterstützt Medica?

90 Prozent unserer Mittel sind Spenden. Der Rest sind öffentliche Mittel, von Stiftungen oder Ministerien.

? Medica betreut Frauen verschiedenster Nationalität auf einem Raum, gibt es dabei nicht Komplikationen?

Nein. Auch im Team der 60 Mitarbeiterinnen sind verschiedene ethnische Gruppen vertreten, aber Probleme deswegen gibt es nicht. Am meisten kommen muslimische Frauen zu uns, denn Zenica liegt in Zentralbosnien, und die Flüchtlingsströme kommen hierher Aber es sind auch einige serbische kroatische Bosnierinnen dabei. Sowohl die innerbosnischen Flüchtlinge, als auch die 600 000 Menschen, die nach Westeuropa flüchteten und jetzt zurückgeschickt werden sollen, können ja größtenteils nicht in ihre Heimat zurück. Und die internationale Politik schreibt die ethnische Teilung fest.

? ? Wie beurteilen die Frauen die Teilung ihres Landes?

Politische Gespräche sind selten. Die Frauen haben andere Sorgen. Sie möchten ein Dach über dem Kopf, möchten wissen, ob ihre vermißten Väter, Ehemänner, Söhne noch irgendwo leben oder ob sie in einem Massengrab liegen.

Wenn über die bevorstehenden Wahlen gesprochen wird, dann wünschen sie sich den Sieg der demokratischen Kräfte.

? Mit welchen Gefühlen kommen Sie in Deutschland an?

Während des Krieges war es eine Qual, hierher zurückzukommen und auf diese Gleichgültigkeit zu stoßen, durch volle Geschäftsstraßen zu gehen. Jetzt gleicht sich die äußerliche Situation - Autos, Geschäfte - immer mehr an. Aber ebenso schnell setzt das Vergessen ein. Und es wird immer schwerer, zu vermitteln, daß Menschen nach wie vor in Flüchtlingslagern leben und keine Hoffnung haben, ihre Heimat wiederzusehen.

Gespräch: Silvia Ottow

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal