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rnnssm Bonn denkt an Auslieferungsantrag

Bubis: Freispruch in Rom verhöhnt die Opfer

  • Lesedauer: 2 Min.

Dem früheren SS-Offizier Erich Priebke droht ein neuer Prozeß in Deutschland. Der Freispruch des Mörders wird unterdessen heftig kritisiert.

Bonn/Köln (Reuter/dpa/ND). Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums kündigte am Freitag an, daß ein Auslieferungsantrag gestellt werde. Gegen den ehemaligen SS-Mann liegt in Deutschland ein Haftbefehl vor. Nach Angaben des Sprechers hat Deutschland nach dem Antrag 40 Tage Zeit, die nötigen Unterlagen nach Italien zu schicken. Dazu gehöre auch die Zustimmung Argentiniens, das Priebke nach Italien überstellt hatte. Der Ministeriumssprecher wies aber darauf hin, daß eine Auslieferung unmöglich werde, wenn der Freispruch gegen Prieb-

ke rechtskräftig werde. Im europäischen Auslieferungsrecht sei vorgesehen, daß niemand wegen der gleichen Tat zweimal verurteilt werden dürfe. Der italienische Staatsanwalt hat bereits Berufung angekündigt.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, sprach in der »B.Z.« von einem »eindeu-. tigen Fehlurteil«. Der Freispruch komme einem Schlag ins Gesicht der Opfer und Hinterbliebenen gleich. Zentralratsmitglied Michel Friedman forderte im Deutschlandfunk die Auslieferung Priebkes. Dabei gehe es nicht um Rache, sondern um Sühne. Es müsse ein Signal gesetzt werden, daß Unrecht und Verbrechen, die in Kriegszeiten begangen werden, immer noch Verbrechen sind. Die Tötung von Zivilisten sei auch in Kriegszeiten nicht zu rechtfertigen.

Der Schriftsteller Ralph Giordano zeigte sich erschüttert. Im MDR sagte er, das Urteil sei ein »abermaliger Beweis, daß die Mörder davonkommen, wenn ein Gewaltstaat von einer Demokratie abgelöst wird«. Der Freispruch dürfe jedoch keine »Signalwirkung« haben für »die Täter von morgen«. Er hoffe, daß der Freispruch »nicht das letzte Wort ist«.

Krista Sager und Jürgen Trittin, Bundessprecher von Bündnis 90/Die Grünen, erklärten in Bonn, die Bundesregierung stehe jetzt in der Pflicht, alles zu tun, damit Priebke an ein deutsches Gericht überstellt werden kann.

Der Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon Wiesenthal, hat das Urteil ebenfalls kritisiert. Priebke hätte überdies schon vor Jahrzehnten als Mittäter und nicht nur als Befehlsempfänger zur Verantwortung gezogen werden können.

Manfred Messerschmidt, Historiker im militärischen Forschungsamt Potsdam, sagte, die Aussage des Gerichts, Priebke habe in Befehlsnotstand gehandelt, sei nicht haltbar. Selbst nach den damaligen Vorschriften sei nicht jedes Befolgen eines Dienstbefehls richtig, »dann nämlich, wenn er erkennbar ein Verbrechen beinhaltet«.

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