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Volker Lösch inszeniert in Dresden Hauptmanns »Die Weber«

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 3 Min.
Vorn an der Rampe stehen 33 Dresdner Bürger. In einem fiktiven Arbeitsamt bieten sie im Chor, den Kopf einem unsichtbaren Amtsvorsteher entgegengereckt, untertänig ihre Dienste an. Tag und Nacht arbeiten will der eine, auf Gehaltsforderungen verzichten der andere, und ein dritter gar ist zu Spitzeldiensten bereit, damit »Entlassungen dem Betrieb zu gute kämen«. Da ist Gerhart Hauptmanns Credo »echte Dramen sind immer Gegenwart« wörtlich genommen. Die Berührungen zwischen dem überlieferten Text und einer von Arbeitslosigkeit geprägten Gegenwart liegen auf der Hand. Behauptet nicht der Fabrikant Dreißiger bei Hauptmann siegessicher, von den Arbeitern: »de werden noch fer`ne Quarkschnitte arbeiten«? Regisseur Volker Lösch setzt eine Linie fort. Schon in der »Orestie« des Aischylos hatten Dresdner Bürger als antiker Chor agiert und die Meinung der kleinen Leute ins Spiel gebracht. Die gleichen Dresdner Bürger hat er nun wieder zur Mitwirkung aufgerufen, um »den Ausgeschlossenen eine Bühne zu geben«. Später, an einem anderen Drehpunkt des Stücks, wird die deutsche Misere von 2004 direkt zur Sprache kommen. Da entlädt sich die Wut über die demütigenden Hartz-IV- Formulare, über arrogante Westbeamte, über des Kanzlers Wort: »kein Recht auf Faulheit«. Wenn zum Schluss die schlesischen Weber, des alten Hilse Warnungen missachtend, beschließen, »nach Breslau zu ziehen« und das Himmelreich auf Erden zu errichten, strömen die wackeren 33 Mitspieler auf die Bühne und schwelgen in illusorischen Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft: »Einzug aller Vermögen über 100000 Euro, Zerstörung aller Computer, keine Angst, kein Hass, keine Arbeitslosigkeit, keine Jagd nach Profit.«. Da wandelt sich die Funktion des Chores. Nicht mehr die eigene individuelle Befindlichkeit steht im Zentrum, sondern die Akzentuierung der Stückhandlung - hier die Kritik am maschinenstürmerischen Impuls der schlesischen Weber. Um die Einbindung der 33 Dresdner Weber in die Handlung bemüht sich eine Fassung, die der Regisseur und sein Dramaturg Stefan Schnabel erarbeitet haben. Wenn im ersten Akt die einzelnen Weber kleinlaut ihre Bitten anbringen - nach Vorschuss, nach Aufschub von Rückzahlungen, nach ein paar Pfennigen für Medizin -, da ist das bei Hauptmann Ausdruck tragischer Vergeblichkeit. Hier bekommt die Bitte, kollektiv und mit zunehmendem Nachdruck gesprochen, Wucht und Dringlichkeit. Aus individuellem Leid wächst kollektives Aufbegehren. Genauso im zweiten Akt. Mutter Baumert, die sich jämmerlich über Not und Elend beklagt, ist bei Hauptmann eine Einzelne. Hier übernimmt ihren Part ein mit modernen Staubsaugern bewaffneter Chor der Weber-Frauen. Da ist kein Sichdreinschicken mehr, sondern offener Protest. Die stärksten Momente hat die Inszenierung, wenn es zur dramatischen Auseinandersetzung zwischen Chor und den wenigen von Hauptmanns Figurenensemble übrig gebliebenen Solisten kommt. Dem Reisenden, der mit arrogantem Gehabe die Not der Weber herunterspielen will, tritt mit geballten Fäusten der Chor der Weber gegenüber. Aus dem Chor tritt der ehemalige Rekrut Moritz Jäger hervor und beide - die aufgebrachten Massen und der Einzelkämpfer - schaukeln sich gegenseitig hoch - bis zur Übereinkunft, sich ab jetzt mit Fäusten wehren zu wollen. Das Manko dieser radikalen Operation an der Stückvorlage: Der Abend gerät zu laut, allzu bedeutungsschwer. Fast jeder Zwischenton erstirbt unter dem Dauerfeuer an undifferenzierter Lautstärke und an aufgeregten Körperhaltungen. Momente von Überdeutlichkeit auch im Bühnenbild von Cary Gayler. Schade, die durchaus streitbare Inszenierungsabsicht hätte sich auch mit weniger geschwollener Stirnader vermittelt.
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