Siamesische Einakter

»Cavalleria rusticana« und »Der Bajazzo« in Cottbus

  • Laura Naumburg
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Pietro Mascagnis »Cavalleria rusticana« und »Der Bajazzo (Pagliacci)« von Ruggiero Leoncavallo sind die siamesischen Einakter des Opernbetriebes, immer wieder für einen Abend schicksalhaft verklammert. Statt mühsam zu trennen, was durch den italienischen Verismo des ausgehenden 19. Jahrhunderts stilistisch ohnehin zusammengehört, haben der Cottbuser Intendant und Regisseur Martin Schüler und seine Dramaturgin Carola Böhnisch beide süditalienische Dorfdramen durch eine plausible Rahmenhandlung nun tatsächlich miteinander verbunden. Der Vorhang öffnet sich vor einem großzügig-altmodischen Seniorenheim. Im Zimmer sitzt eine Frau im Rollstuhl, ein alter Herr schaut vom Balkon in die Ferne und geht dann davon. Die Frau schließt die Fenster und Gardinen und wird von ihnen Erinnerungen heimgesucht. Einst hat sie den ungetreuen Geliebten, Turridu, an den Ehemann jener Frau verraten, mit der er sie betrog. Alfio der Fuhrmann stellte seine Ehre wieder her, Turridu und Lola mussten sterben. Die Dorfbewohner drängen sich in die Erinnerung, mit langsamen Bewegungen kommen sie als schwebende Traumgestalten auf Santuzza zu, umringen sie. Turridu erscheint, auch Lola im roten Kleid. Santuzza gerät immer mehr in den Sog ihrer Erinnerung, spielt und singt mit, schließlich bricht sie zusammen. Ganz anders der alte Herr, der ehemalige Schauspieler Tonio. Auch er hat durch eine Denunziation zwei jungen Menschen den Tod gebracht. Er begehrte einst die Tänzerin Nedda, die Frau seines Chefs Canio. Sie wies den aufdringlichen Buckligen ab, zog ihm und ihrem Mann den Dorfburschen Silvio vor. Am Abend, als beide fliehen wollten, verriet er sie dem eifersüchtigen Canio. Der erstach seine Frau auf offener Bühne und Silvio auch, als er der Geliebten zu Hilfe kam. Sein triumphierender Ausruf »die Komödie ist zu Ende« bringt auch Tonio in die Realität zurück. Martin Schüler arbeitete wie im Film technisch perfekt in vielen Rück- und Zwischenblenden. Bei aller dramatischen Buntheit und musikalischen Opulenz beider Werke hat Martin Schüler zwei Gewissensbefragungen mit je unterschiedlichem Ausgang inszeniert. Reue und Scham plagen Santuzza; Tonio glaubt immer noch an die Berechtigung seiner Rache. Cottbus glänzte in dieser Inszenierung wieder einmal als ein Ensembletheater. Wäre das Haus nicht Staatstheater, es gehörte vorbildlich zum diesjährigen »Theater des Jahres«. Den Titel erhielt »das Stadttheater«. Die Opernpartien wirken, als wären sie so für die Cottbuser Protagonisten komponiert. Zum Beispiel die Frauen: Carola Fischer kann als eine altgewordene Santuzza ihren inzwischen reifen Mezzosopran in die Rolle und die Partie einbringen. Die grazile Gesine Forberger als Nedda ist eine weiße Taube mit glaszarter Stimme, ganz und gar ein Kunstgeschöpf, eine Ballerina in Tütü und Spitzenschuhen. Bei den Männern stellte Schüler dem stämmigen Paul McNamara als Canio Jens-Klaus Wilde als Turridu gegenüber, einen Mann, der streckenweise berückend schön sang und das Verlorensein seiner Figur von Anfang an mitspielte. Für jede Figur fand Martin Schüler eine persönliche Legende. Gerade diese Detailarbeit lässt die Cottbuser Inszenierungen so geschlossen wirken. Das Orchester hat ebenfalls seinen Anteil daran. Es wird schlagkräftig szenisch musiziert. Mascagnis und Leoncavallos wahrlich »blutvolle« Partituren, angeregt vom jungen Verdi und angereichert mit dem populären Zungenschlag des südlichen Italien, alle Wagnerische Harmonietüftelei bewusst hinter sich lassend, laden natürlich zum Schwelgen ein. Reinhard Petersen und sein Orchester nahmen die E...

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