nd-aktuell.de / 05.11.2004 / Kultur

Voodoo-Video-Kapitalismus

Auftakt der Prater-Saga »1000 Dämonen wünschen dir den Tod«

Tom Mustroph
Früher, es ist so ungefähr ein bis fünf Jahre her, hat René Pollesch die kapitalistische Ökonomie und die Verlassenheit des Selbsts darinnen mit irrwitziger Fantasie und in pointierten Sprachkaskaden auf Theaterbrettern ausgebreitet. Mit dem ersten Teil seiner Prater-Saga »1000 Dämonen wünschen dir den Tod« geht er einen Schritt weiter. Pollesch überführt in der Nebenspielstätte der Volksbühne die Ökonomie des Kapitalismus in eine Ökonomie des Okkulten. Er macht sich den - zumindest von ihm so behaupteten - Blick der Unterschichten von Accra (Ghana) zu Eigen und hält Geldscheine ausspuckende Tote für die Quelle des Reichtums der Oberschicht. Angesichts der exponential wachsenden Reichtümer einiger, der mit Marktmechanismen nicht mehr ausreichend herzuleiten ist, scheint Voodoo da eine passable Erklärungsoption. »Die Leiche meiner Frau liegt da drüben und spuckt Geld. Das ist die Realität, die ich mir ohne okkulte Ökonomien überhaupt nicht erklären könnte. Ich könnte mir meine Verhältnisse auch verschleiern, mit der herrschenden Dominanz bloß imaginierter sozialer Beziehung. Aber nein, ich sehe der Wahrheit ins Gesicht«, bekennt Martin Wuttke als Parvenü Bigman. Voodoo hat den bezaubernden Vorteil, einerseits Maskerade für diverse Verschwörungstheorien zu sein, anderseits sind seine Praktiken, Riten, Beschwörungen so physisch, dass man sie - anders als anonyme Kapitalströme - wundervoll spielen kann. Was Wuttke und Volker Spengler, aber auch Christine Groß und Elisabeth Rolli auf Schweiß treibende und Zwerchfell erschütternde Weise tun. Für Polleschs Voodoo-Kapitalismus, der genauer gesagt ein Voodoo-Video-Kapitalismus ist, hat Bühnenbildner Bert Neumann eine durchbrochene Studiolandschaft geschaffen. Auf quadratischen Podesten ist etwas Mobiliar gelagert. Oft erzeugt aber nur eine Foto-Tapete den Raum. So sind ein kühles Wohnzimmer zu sehen, ein Zimmer mit Ausblick, ein noch im Zustand der Renovierung befindlicher Raum, schmuddelige Kellergelasse und eine eher im Erzgebirge zu vermutende Schieferwand mit Fenster. Das alles gehört zum Interieur der Villa von Bigman Wuttke. In diese hat sich ein Videoteam eingenistet, das das luxuriöse Ambiente als Kulisse für eigene Wohlstandsfantasien nutzt. Einen Tag mit den Insignien des Wohlstands verbracht, mit ihnen auch noch abgebildet - und schon ist die Illusion des erfolgreichen Lebens perfekt. Das Filmteam, Diabolo (Groß) und Twopence-Twopence (Rolli), hat aber noch eine andere Erklärung parat: Die Häuser der Reichen sind aus Sicherheitsgründen so hell ausgeleuchtet, dass man glatt das Lichtequipment (das man sowieso nicht hat) spart. Die Liebesverhältnisse sind durcheinander, die ökonomischen auch, denn das Filmteam verlässt die Villa nicht. Es könnte sich Verzweiflung breit machen, ein Konflikt kulminieren, vielleicht ein Verbrechen geschehen. Diese Konstellation könnte vom konventionellen Theater noch mit Leben erfüllt werden. Doch der manische Autor und Regisseur Pollesch und seine wahnwitzige Combo erreichen jetzt gerade Betriebstemperatur. Wortfetzen wie »die Geldähnlichkeit von Subjekten, die auf der Flucht sind« und »die Tierähnlichkeit von Körpern, die auf der Flucht sind«, werden durch die Luft geschleudert. Manches Mal stockt der Redefluss und die Souffleuse schaltet sich ein. Das ist ein kurzer Ruhepunkt, die Sinne sammeln sich wieder. Dann wird konstatiert: »Die Maschine, die mich als Menschen denkt, läuft leer.« Ein Abschalten dieser Maschine wird gefordert. In den Disput baut Pollesch zwei Mordsequenzen ein. Bigman tötet zwei Frauen und schafft sie weg, indem er die Podeste auseinander zerrt. Im Studio tun sich Spalte auf, durch die nun Geister und Dämonen dringen. Gleichzeitig sind es Schauspieler, die erkennbar Spaß daran haben, Leichen zu spielen und Mörder. Nichts ist versteckt, keine Thrillerspannung wird erzeugt. Man wohnt dem Prozess des Verfertigens von Horror bei. Doch über die technische Ebene hinaus weht einen der Hauch der Erkenntnis an, dass das Absurde möglich ist, dass die Verzweiflung von Menschen im Kapitalismus, hin und hergerissen von Hoffnungen, Begierden und Ängsten, von Abwehr, Hass und der Fratze Edelmut gezeichnet, in solchen Bildern seinen leibhaftigen Ausdruck findet. Polleschs Prater-Saga ist eine Droge, Erkenntnis-, Rausch- und Betäubungsmittel zugleich. So gesehen ein Traum von Theater. Nächste Vorstellung heute, 20 Uhr