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Aufregung um »unerhörtes« Nichts

Deutsch-französische Extratour bei der EU Niederlande Von Guus Gonggrijp, Amsterdam Nicht gerade gut verlief der Start der niederländischen EU-Präsidentschaft am Montag in Brüssel.

  • Lesedauer: 3 Min.

Während der ersten offiziellen Sitzung der Außenminister unter dem Vorsitz des Niederländers Hans van Mierlo entfernten sich dessen Amtskollegen Klaus Kinkel und Herve de Charette. Der Deutsche und der Franzose begaben sich in einen anderen Saal, wo sie eine Pressekonferenz veranstalteten. Hier erklärten sie, daß beide Länder in der kommenden Zeit als Motor der europäischen Integration auftreten werden. Wahrscheinlich war die Symbolik unbeabsichtigt, aber vor ihnen stand ein Schild mit der Aufschrift »Vorsitzender«.

Niederländische Diplomaten bei der Europäischen Union verzichteten anfangs auf eine Stellungnahme. Ein Journalist kundschaftete daher die Meinung altgedienter ausländischer Berufskollegen aus und registrierte Einschätzungen wie »unerhört«, »Coup gegen die niederländische Präsidentschaft« und »Putsch der Achse Bonn-Paris gegen Großbritannien«. Obwohl Hans van Mierlo als deutschfreundlichster Außenminister der Niederlande seit Menschengedenken gilt, muß er jetzt schließlich auch den britischen Wünschen Rechnung tragen, um einen europäischen Konsens zu ermögli-

chen. Auch von einem »Blauen Montag« war die Rede - wohl eine Anspielung auf jenen »Schwarzen Montag«, an dem unter einer früheren niederländischen Präsidentschaft allzu kühne holländische Vorschläge kläglich scheiterten.

Bald flimmerten beunruhigende Teletext-Meldungen über die niederländischen Bildschirme. Van Mierlo, von Journalisten bedrängt, verneinte jedoch vehement, daß er grob behandelt worden sei. Kinkel und de Charette hätten ihm vorher mitgeteilt, daß sie eine Pressekonferenz planten. »Wir lassen uns nicht von Frankreich und Deutschland ins Schlepptau nehmen, und davon ist auch nicht die Rede. Ich kann diese“ Aufregung nicht verstehen. Es ist nichts«, äußerte sich der sichtlich irritierte Politiker. Auf-' regung um nichts könne er sich in den Niederlanden aber durchaus vorstellen.

Niederländische EU-Diplomaten vermuteten, daß die deutsch-französische Pressekonferenz vor allem darauf zielte, nach vorangegangenen Meinungsverschiedenheiten wieder Geschlossenheit zu demonstrieren. Kinkel riet den Niederländern vor laufender Kamera indes, »cool« zu bleiben. Später erklärte er, vor Erstaunen fast vom Stuhl gefallen zu sein, als er erfuhr, wie einige böswillige Holländer die Pressekonferenz gedeutet hatten. Dabei seien die Beziehungen zwischen dem niederländischen Premierminister Wim Kok und Bundeskanzler Helmut Kohl doch hervorragend.

Zum »Sturm im Wasserglas« läßt sich

Hans van Mierlo samt Schatten Foto: Reuter

die Angelegenheit aber nicht mehr herunterspielen. In Den Haag kündigten Parlamentsabgeordnete an, Fragen an Kok zu stellen. Es handelt sich sowohl um oppositionelle Christdemokraten als auch um Vertreter der rechtsliberalen Regierungspartei WD Einer der WDler meinte, jetzt komme es erst recht darauf an, das Prinzip der Einstimmigkeit (quasi ein Vetorecht) in der EU aufrechtzuerhalten - Kinkel hatte auf der Pressekonferenz gerade wieder den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen befürwortet.

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