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Ian Paisleys heilige Mission

Labour und Tories in Sachen Ulster sehr nahe Nordirland Von Sebastian Köhler, Belfast

  • Lesedauer: 4 Min.

Auch in Ulster wird morgen gewählt - allerdings sind zwischen Blair und Major in Sachen Nordirland noch weniger substantielle Differenzen zu erkennen als auf vielen anderen Gebieten.

Gerry Adams und seiner Sinn Fein werden gute Wahlchancen eingeräumt

Foto: dpa

Ein ganz normaler, feucht-kalter und windiger Freitagmittag in Ost-Belfast. Einkaufende hasten über die breiten Straßen. Nur an der Ecke des gro-ßen Platzes steht eine kleine Gruppe und lauscht: Der riesige alte Mann fesselt etwa 30 Leute mit seiner Stimme und seiner Botschaft, für die er kaum Mikrofon und Lautsprecher benötigt. Der massige Wahlkämpfer ist als furchtloser Alleinunterhalter ein Unikum: Reverend Dr. Ian Paisley begründete eine Kirche und eine Partei, und beide Projekte gelangen. Seine Democratic Unionist Party wurde dieser Tage 25 Jahre alt.

Manche hier gehen davon aus, daß sich der lautstarke Pfarrer auch die nächsten 25 Jahre durch keine Verhandlungen und keine Waffenstillstände von seiner selbstbenannten »heiligen Mission« abbringen läßt: Niemals dürfe die mehrheitlich protestantische Provinz Ulster (Nordirland) vom »mainland Britain« abund den katholischen (Nord-)Iren in die Hände fallen. Der radikale Unionist sitzt dafür auch seit 26 Jahren im Londoner Unterhaus und wurde viermal in Folge ins Europarlament gewählt.

Die regelmäßigen Mehrparteiengespräche über die Zukunft Nordirlands unter Ausschluß der als IRA-nah geltenden Sinn Fein wurden knapp neun Monate nach ihrem Beginn Anfang März praktisch ergebnislos bis nach den Wahlen einschließlich des nordirischen Kommunalvotums am 15. Mai - auf Anfang Juni vertagt. Paisley fürchtet, daß die politische Vertretung der republikanischen Untergrundbewegung IRA lediglich einen neuen Waffenstillstand anzukündigen brauchte, und schon säße Erzfeind Sinn Fein, aus Dublin und London hofiert, am Verhandlungstisch, ohne eine einzige Waffe abgegeben zu haben. Insofern ist es ihm egal, ob Konservative oder Sozialdemokraten in Westminster regieren. Allerdings sehen radikale Loyalisten vom

Schlage Paisleys die New Labour noch immer mißtrauischer als die bisherigen konservativen Teilzeit-Verbündeten. Obwohl Tony Blair immer wieder beteuert: »Als Regierung werden wir uns in dieser Frage genauso standhaft verhalten.« Bevor also Sinn Fein zu Verhandlungen über politische Reformen Nordirlands zugelassen würde, müßte zumindest ein »glaubwürdiger Waffenstillstand« her

Zwischen Blair und John Major sind hier noch weniger substantielle Differenzen zu erkennen als auf vielen anderen Gebieten. Blair- »Wenn Sinn Fein keinen Waffenstillstand erreichen kann oder

will, dann müssen wir den Reformprozeß mit den verfassungsmäßigen Parteien fortsetzen. Wir sollten endlich eine Vereinbarung über den Status Nordirlands innerhalb des Vereinigten Königsreiches erzielen und darüber dann die Nordiren abstimmen lassen.« Auch der Labour-Chef weiß, daß über 60 Prozent der 1,6 Mio Nordiren Nicht-Katholiken (und datnit tendenziell Großbritannien zugewandt) sind, und daß das historisch gewachsene Problem vor allem die vielfältigen sozialen Diskriminierungen darstellen, denen die beachtliche Ulster-Minderheit von Katholiken nach wie vor ausgesetzt ist.

Unabhängig vom allgemeinen Wahlausgang könnte aber nach dem britischen Mehrheitswahlrecht nicht zuletzt

Sinn Fem-Präsident Gerry Adams ein großer Gewinner sein. Er tritt wieder im Wahlkreis West-Belfast an und hat beste Chancen, den Sozialdemokraten Joe Hendron abzulösen. Bereits im Zeitraum 1983-1992 hatte Adams den Wahlkreis gewonnen, aber das Mandat zurückgewiesen, da es ihm seinerzeit noch als Symbol britischer Anmaßung gegolten hatte, Nordirland zu regieren. Doch die Zeiten ändern sich, wenn auch langsam: Falls Adams' Stellvertreter Martin Mc Guinness oder aber die hochschwangere Roisin McAliskey, Tochter der populären einstigen Abgeordneten und heutigen Bürgerrechtsaktivistin Bernadette

Devlin-McAliskey, auch noch in Mid-Ulster gewänne, könnte Sinn Fein schon auf dem Weg sein, John Humes Social Democratic and Labour Party (SDLP) als wichtige nationalistische Wahlorganisation abzulösen.

Wenn Tony Blair neuer Premier wird, dürfte Marjorie Mowlam zur Nordirland-Ministerin ernannt werden. Die langjährige Labour- Sprecherin für Ulster-Fragen

gibt sich tory-kritischer als ihr Parteichef. Sie hält der Londoner Regierung vor, deren interne Streits hätten alles übertroffen, was sie in zehn Jahren Nordirland-Politik erlebt habe. Mit nahendem Wahldatum und wahrscheinlicher Amtsübernahme übte sich jedoch auch Miss Mowlam immer mehr in Diskretion und Allgemeinplätzen: »Ich rufe alle Parteien auf, vom Friedensprozeß wenigstens das übrigzulassen, was noch nicht zerstört ist.« Einzig an Einzelkämpfer wie Reverend Ian Paisley wendet sie sich noch direkt: »Es ist Zeit, mit der Megaphon-Diplomatie aufzuhören.« Kritiker wollen gerade aus solchen Äußerungen immer wieder die Gefahr von Geheimverhandlungen mit militanten Nationalisten heraushören.

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