Nicht nur ein kleiner Unterschied

Suchthilfe-Organisation fordert mehr Geschlechtersensibilität in Therapie und Beratung

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Anlässlich der Veröffentlichung ihres Jahrbuches 2005 hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) gestern in Berlin eine stärkere Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Belange bei der Therapie von Abhängigen gefordert und auf die Zunahme neuer Suchtarten hingewiesen.

Frauen, sagt Klaudia Winkler, konsumieren die gleichen Drogen wie Männer - aber anders. Die Regensburger Sozialwissenschaftlerin beschäftigt sich seit 15 Jahren mit der Frage, wie sich das Geschlecht auf das Suchtverhalten auswirkt, vor allem aber, welche Konsequenzen der offenbar nicht nur »kleine Unterschied« für die Therapie von Abhängigen hat.
Ein Blick in die Statistiken zeigt, dass Frauen seltener illegale Drogen und Alkohol konsumieren, dafür bei Medikamentenabhängigkeit und Essstörungen vor ihren männlichen Zeitgenossen liegen. Der Anteil von Frauen an den fachlich betreuten Suchtkranken ist mit weniger als einem Viertel jedoch deutlich geringer als der der Männer.
Frauen sind aber nicht allein in den Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe eine Minderheit. Auch in den wissenschaftlichen Konzepten zur Betreuung und Therapie spielten Geschlechterfragen bislang nur eine untergeordnete Rolle. Sucht wurde in der Vergangenheit als »geschlechtsneutral« beobachtet, Angebote der Hilfe stützten sich aber in der Regel auf Erfahrungen mit suchtkranken Männern.
Das soll sich nach dem Willen der DHS nun ändern. Bereits im vergangenen Herbst hat die DHS die Berücksichtigung einer »geschlechterbezogenen Sichtweise« zum Leitbild der Arbeit ihrer Mitgliedsorganisationen erhoben.
In der Praxis müssten daher, fordert Winkler, bisher wenig beachtete Problemgruppen stärker ins Blickfeld rücken - etwa Frauen, die trotz geringer Dosen eine Abhängigkeit von Medikamenten entwickelt haben, oder ältere Frauen. Auch bei der Betreuung von suchtkranken Frauen wünscht sich die Regensburger Professorin mehr jeweils auf Frauen und Männer zugeschnittene Angebote. Diese sollten stärker als bisher die Lebensrealität der Abhängigen - etwa als Mütter, Ehefrauen - berücksichtigen; Barrieren beim Zugang zu Therapie und Beratung abbauen sowie »schädigende Einflüsse« in der Behandlung mindern. Gerade im stationären Bereich, so Winkler, störten Beziehungserwartungen von meist männlichen Mit-Patienten oder gar sexuelle Übergriffe immer wieder die Therapieversuche. Und in Nachsorgeeinrichtungen gibt es »ausgesprochen selten« Extraangebote für Frauen - oder Männer. Denn die »traditionellen geschlechts-neutralen Arbeitsweisen« in der Suchtkrankenhilfe werden auch abhängigen Männern »nicht wirklich gerecht«, so Winkler.
Der Präsident der DHS, Rolf Hüllinghorst, will darüber hinaus noch ein weiteres Thema ins Zentrum der DHS-Arbeit im Jahr 2005 rücken: die so genannten »suchtungebundenen Suchtformen«. Während der Alkoholkonsum, das Rauchen und der Konsum harter Drogen weiter zurückgeht, registrieren die Organisationen der deutschen Suchthilfe mit Phänomenen wie Kauf-, Internet- und Arbeitssucht immer neue Formen der Abhängigkeit - und eine wachsende Unsicherheit. Oft ist unklar, ob es sich um eine Suchtkrankheit, Zwangshandlung oder Störung der Impulskontrolle handelt. Der Mediziner und DHS-Vorsitzende Jobst Böning sieht hier noch jede Menge Forschungsbedarf. Unabhängig von wissenschaftlichen Debatten müssten Hilfe Suchenden jedoch entsprechende Angebote gemacht werden - Frauen wie Männern.

Trends bei Alkohol
 Nach Angaben der DHS geht der Alkoholkonsum seit sechs Jahren zurück - um jährlich 0,1 Liter reinen Alkohols pro Kopf. Die Zahl der bei alkoholbedingten Autounfällen Getöteten hat sich seit 1995 halbiert.
 Aber: Deutschland gehört nach wie vor zu den sieben Ländern, in denen im Jahr mehr als 10 Liter reiner Alkohol pro Kopf getrunken werden. Problematisch: Bei den 14-Jährigen verdoppelt sich alle fünf Jahre der Anteil derer, die regelmäßig Alkohol konsumieren. Bei den gesamten 12- bis 25-Jährigen ist die Zahl dagegen seit 1974 rückläufig.
 Ein weiterer Trend: Immer weniger Menschen konsumieren immer mehr - also exzessiver. Inzwischen trinken 8 Prozent...

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