Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Schreckensvision eines Staatsanwaltes

Prozeß gegen den PDS-Abgeordneten Benjamin Hoff, weil er Zivilcourage gegen Obrigkeitsdenken setzte Von Peter Kirschey

  • Lesedauer: 2 Min.

Natürlich ist Benjamin Hoff, der jüngste Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus, nicht wegen gezeigter Zivilcourage angeklagt. Das ist in diesem freiheitlichdemokratischen Staatswesen nicht strafbar, obwohl es einige Herren in schwarzen Roben zwecks strengerer Zucht und Sitte sicher gern anders haben möchten.

Der Anklagevorwurf lautet auf Nötigung und Hausfriedensbruch.

Am 1. April hatte sich der PDS-Abgeordnete gemeinsam mit weiteren 50 Demonstranten auf dem Bahnhof Zoo vor einen Zug gesetzt, um mit frisch gezoge-

nen Rekruten über die Rolle der Bundeswehr in einen Dialog zu treten. Keine Gewalt, kein Widerstand, nichts dergleichen. Nach rund 40 Minuten - als unter den Fahrgästen die Stimmung von Sympathie in Ungeduld umschlug - verließen die Demonstranten, ebenso friedlich wie sie gekommen waren, die Gleise.

Daraus entwickelte die Staatsanwaltschaft gestern in ihrer Anklage ein wahres Horrorszenario. Acht Züge, Massen von Reisenden seien betroffen gewesen. Es klang, als hätte dieser Berliner Student in einem kühnen Husarenstreich das hauptstädtische Zugwesen lahmgelegt. Man könnte das Bild des Grauens durchaus noch weiterführen: Ein PDS-Abge-

ordneter wickelt sich um den Großen Stern, der Autoverkehr erstürbe; ein weiterer plaziert sich vor dem Polizeipräsidium, Polizei und Staatsschutz wären paralysiert; ein anderer lümmelt sich vor der Berliner Landesregierung im Roten Rathaus - die Stadt wäre nicht mehr regierbar. Nur eine kleine rote Vierer-Bande, und der Umsturz wäre zum Greifen nahe. So etwas Ähnliches muß dem Herrn Oberstaatsanwalt Heincke vorgeschwebt haben, als er für die gewaltfreie Aktion eine dreimonatige Gefängnisstrafe und eine 3000-Mark-Zahlung forderte.

Als die anwesende Jugendgerichtshilfe die Einstellung des Verfahrens wegen offensichtlich edler Motive anregte, war das für die Staatsanwaltschaft »völlig ausgeschlossen«. Das Gericht, so der Eindruck des Beobachters, hätte sich gern dem von der Verteidigung geforderten Freispruch angeschlossen. Doch da der Herr Ankläger so vehement eine Verurteilung forderte (»Er ist zu bestrafen, hier ist ein deutliches Zeichen zu setzen.«), entschied das Gericht, weitere Zeugen zu hören. Somit wird die Entscheidung am kommenden Donnerstag fallen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal