Atomstrom der Umwelt zuliebe

In Sorge um ihre Profite entdeckt die Stromwirtschaft den Klimaschutz

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Wirtschaft hat den Klimaschutz entdeckt - und fordert deshalb längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke. Nur ein »breiter Energiemix unter Einschluss der Kernenergie« könne gewährleisten, dass Deutschland seine klimapolitischen Verpflichtungen erfülle, sagt etwa Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT).

Das Deutsche Atomforum, der große Lobby-Verband der Kern-Energetiker, will herausgefunden haben, dass durch die Nutzung der Kernkraft jedes Jahr soviel Kohlendioxid-Emissionen vermieden werden wie der gesamte Straßenverkehr ausstoße. Bei der Berliner Wintertagung des Atomforums behauptete dessen Präsident Walter Hohlefelder, dass die Atomkraft als CO-neutrale Technologie für den Klimaschutz unumgänglich sei.
Dabei verschwieg er geflissentlich die Kohlendioxid-Emissionen, die beim Uranabbau, bei der Erzaufbereitung, der Anreicherung und bei der Sanierung der Abfallhalden ausgestoßen werden. Um eine Tonne Uranbrennstoff zu erhalten, müssen rund 3000 Tonnen Uranerz gefördert werden, eine ebenso große Menge giftiger Abfälle fällt dabei an. Die beim Abbau und bei der Sicherung der Halden entstehenden CO-Emissionen werden jedoch nicht dem Land zugeordnet, das aus dem Uran Strom macht, sondern dem Staat, in dem das Uran abgebaut wird. Den deutschen Atomstromverbrauchern, kritisieren Umweltschützer, werde somit eine nur vermeintlich klimafreundliche Stromversorgung vorgegaukelt.
Ohnehin nicht die Rede ist bei den Atombefürwortern von den Gefahren der Kernkraft. Schon im Normalbetrieb geben die Meiler Radioaktivität an die Umwelt ab, im Umkreis vieler Reaktoren ist die Kindersterblichkeit erhöht. Im Fall eines großen Unfalls, siehe Tschernobyl, würden ganze Landstriche verseucht. Und schließlich muss der strahlende Atommüll hunderttausende Jahre verwahrt werden, ein sicheres Endlager ist weltweit nicht in Sicht.
Dass der Schutz des Klimas für die Industrie in Wahrheit keine Herzensangelegenheit ist, zeigt das Verhalten der Verbände im Streit um den Emissionshandel. Tatsächlich wünschen sich die Energieversorger längere Laufzeiten aus einem ganz anderen Grund so sehnlich. Die Reaktoren sind längst abgeschrieben und damit äußerst rentabel - »Gelddruckmaschinen« nannte sie jüngst eine Bürgerinitiative.
Das sieht auch Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) ähnlich. Der aktuelle Vorstoß der Stromkonzerne sei »ein untauglicher Versuch, mit alter Technik möglichst lange Geld zu verdienen«. Nach Trittins Ansicht besteht »überhaupt kein Anlass, den mit der Stromwirtschaft vereinbarten Atomausstieg in Frage zu stellen«. Eine erneute Debatte darüber führe nur dazu, dass anstehende Investitionen in neue Kraftwerke verzögert und Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt würden.
Im Streit zwischen der Energiewirtschaft und Trittin bleibt außen vor, dass der Atomausstieg in Wirklichkeit nur ein halbherziger ist. Nachdem die Regierungskoalition aus SPD und Grünen 1998 einen »umfassenden und unumkehrbaren« Ausstieg aus der Atomkraft angekündigt hatte, kam zwei Jahre später der so genannte »Atomkonsens« zu Stande - ein inzwischen auch im Atomgesetz verankertes Abkommen zwischen den großen Stromkonzernen und der Bundesregierung, das den Neubau von AKW zwar verbietet, den Weiterbetrieb der bestehenden Reaktoren unter garantiertem Bestandsschutz allerdings für lange Zeit fortschreibt.
Auch wenn im Mai diesen Jahres das Atomkraftwerk Obrigheim am Neckar älteste Kernkraftwerk Deutschlands als erstes sein Verfallsdatum erreicht und abgeschaltet werden sollte, geht nach dem ausgehandelten Deal frühestens 2021 der letzte Meiler vom Netz. Viel wahrscheinlicher ist aber ein deutlich späterer Zeitpunkt, weil die Betreiber die Stromkontingente von alten, früher stillgelegten Kraftwerken auf neuere und leistungsfähigere Reaktoren übertragen dürfen. Unumkehrbar ist der vorgebliche Ausstieg schon gar nicht. Eine CDU-geführte Bundesregierung könnte den Konsens für null und nichtig erklären und das Atomgesetz mit einfacher Mehrheit im Bundestag wieder ändern.
Wie bestellt und unterstützt von Blättern wie »FAZ« und »Zeit«, reden die Unions-Granden denn auch schon einer »Renaissance der Kernenergie« das Wort. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) war der erste, der unter dem Eindruck kletternder Ölpreise und beflügelt von der Einweihung des Forschungsreaktors FRM II bei München eine längere Laufzeit der AKW und sogar den Zubau weiterer Meiler ins Gespräch brachte. »Der Ausstieg war nie vernünftig und ist nicht zeitgemäß«, nörgelte dann Hessens Ministerpräsident Roland Koch. Und Erwin Teufel, Noch-Regierungschef in Baden-Württemberg, nannte den Ausstiegsbeschluss »ökonomisch wie ökologisch riskant«.
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