Wer auf die Straße geht, bleibt ohne Job

Ureinwohner auf Sachalin protestieren gegen Ölbohrungen

  • Veronika Wengert, Moskau
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Mehrstellige Milliardenbeträge investiert das internationale Firmenkonsortium »Exxon-Mobile« in die Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen vor der Insel Sachalin, im äußersten Osten Russlands. Jeder zweite Bewohner hier ist ohne Arbeit, die Ureinwohner leben in bitterer Armut und bangen um ihren natürlichen Lebensraum. Die Hilflosigkeit hat sie nun auf die Straße getrieben.


Viele sind es nicht, die vom lukrativen Geschäft mit dem schwarzen Gold profitieren: Die globalen Öl-Multis, deren Glaspaläste die maroden Wohnblocks von Juschno-Sachalinsk überragen, vielleicht noch die Casino-Betreiber, deren Glitzertempel sich in der Hauptstadt der russischen Halbinsel Sachalin auf fast wundersame Weise vermehren. Und schließlich der Staat, der sein Säckel bereitwillig öffnet beim Roulette um die größten unerschlossenen Öl- und Gasvorkommen der Welt: Mehr als 13 Milliarden Barrel (ein Barrel sind etwa 159 Liter) sind es, die in den kommenden Jahren im Schelf vor Sachalin aus dem Pazifik gefördert werden sollen.
Es ist die größte Investition in der Geschichte Russlands: In sechs Etappen, die der Reihe nach von »Sachalin-1« bis »Sachalin-6« durchnummeriert sind, sollen insgesamt 100 Milliarden US-Dollar Kapital fließen. Allein in das Förderprojekt »Sachalin-2« wurden bislang zehn Milliarden Dollar investiert. Federführend ist hier das Firmenkonsortium »Exxon-Mobile«, zu dem auch Shell, Mitsubishi und Misui gehören.
Zaungäste bleiben jedoch die 650 000 Bewohner der 950 Kilometer langen Insel: Jeder zweite ist arbeitslos und wer eine Stelle hat, muss oft mit 50 Dollar pro Monat auskommen. Auf der Bohrinsel können es schon mal 300 Dollar oder mehr sein. Kaum anderswo in Russland ist der Grat zwischen Arm und Reich so schmal.
Außen vor beim Geschäft mit dem Öl bleiben vor allem die Ureinwohner von Sachalin - die Niwchen, Nanaier, Oroken, Orotschen und Ewenken. Rund 3150 Insulaner gehören einem der so genannten indigenen Völker an. Mit gut 2000 Angehörigen stellen die Niwchen die größte dieser Bevölkerungsgruppen, die traditionell vom Fischfang lebt, während sich andere auf Rentierzucht spezialisiert haben. Nur die wenigsten haben einen Job in der Ölbranche. Und wer einen hat, muss in diesen Tagen bangen - zumindest in der Siedlung Wal im nördlichen Drittel der Insel: Die Wut gegen den Bau zweier Pipelines im Rahmen des Projekts »Sachalin-2« hat gut 300 Indigene auf die Straßen getrieben. Baustellen, Zufahrtswege und Wirtschaftsobjekte der internationalen Konzerne im Nordosten von Sachalin wurden gewaltlos blockiert. Mit der Aktion »Grüne Welle« wollen die Menschen auf die zunehmende Zerstörung der Flora und Fauna in ihrem angestammten Lebensraum aufmerksam machen. Unterstützt wurde die Protestaktion von zahlreichen Organisationen im In- und Ausland, unter anderem vom World Wildlife Fund (WWF) und der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in München.
Von den Verantwortlichen in Wirtschaft und Regierung fordern die Indigenen mit ihren Protesten ein unabhängiges Umweltverträglichkeitsgutachten sowie die Gründung eines Fonds für die Ureinwohner, der die Zerstörung ihres Lebensraumes kompensieren soll, sagt Jana Dordina, Projektkoordinatorin der Dachvereinigung der Ureinwohner Russlands »RAIPON«. Zudem wünschen sich die Indigenen mehr Mitbestimmung bei den geplanten Bauprojekten, die derzeit über ihre Köpfe hinweg entschieden werden. Verhandlungen mit Behörden und den Konzernen scheiterten jedoch erst im Dezember, als es RAIPON und WWF nicht gelang, alle beteiligten Parteien an einen Tisch zu bekommen - die Antwort darauf war nun die Protestaktion »Grüne Welle«.
Im Vorfeld der Aktion - so berichtet ein Augenzeuge - gab es kam es in Wal Druck auf die Einwohner: Firmenvertreter der Ölkonzerne seien von Tür zu Tür gegangen, um den Indigenen zu »empfehlen«, besser nicht an den Protestaktionen teilzunehmen - wenn ihnen ihr Job oder der ihrer Familienangehörigen wirklich etwas bedeute. Rund 30 Personen aus der Siedlung sind in der Ölbranche beschäftigt und müssen nun um ihre berufliche Zukunft fürchten. Jewgenij Schwarz vom WWF Russland zeigte sich empört über diese Einschüchterungsmaßnahmen.
Die beiden geplanten Pipelines sollen sich ihren Weg durch Weidegebiete von Rentieren, unberührte Wälder, aber auch Laichplätze von Lachsen bahnen: Die 800 Kilometer langen Röhren sollen auf ihrem Weg nach Süden 1103 Flüsse und Gewässer durchqueren, bis das schwarze Gold im Hafen neben Juschno-Sachalinsk auf Tanker verladen und nach Asien und Nordamerika verschifft wird. Sachalin soll zu einem der wichtigsten Öl- und Gaslieferanten für Japan und andere Länder der Region werden.
In der Vergangenheit war es wiederholt zu Umweltskandalen rund um das Großprojekt gekommen: Bereits zwischen 1999 und 2001 waren bei Bohrarbeiten mehr als 70 000 Tonnen versuechter Boden im Ochotskischen Meer versenkt worden. Zur gleichen Zeit, als die umstrittene erste Bohrplattform »Molikpak« errichtet wurde, machten Fischer in der unweit entfernt gelegenen Piljtun-Bucht eine böse Entdeckung: Mehr als 5000 Tonnen toter Pazifik-Heringe waren angeschwemmt worden, berichtet der WWF Russland.
Bedroht sind auch die letzten 100 Nordpazifik-Grauwale, die die Sommermonate vor Sachalin verbringen und durch den Bohrlärm sowie die veränderte Unterwasserwelt nicht mehr genug Nahrung vorfinden, warnt der Internationale Tierschutzfonds (IFAW).
Zudem befindet sich Sachalin in einem erdbebengefährdeten Gebiet. Bereits kleinere Erdstöße hier könnten zu einer Naturkatastrophe von kaum vorstellbarem Ausmaß führen. So vernichtete ein Beben der Stärke 7,5 im Jahre 1995 große Teile der Ölarbeiterstadt Neftegorsk nördlich von Wal.
Viele sind es nicht, die vom lukrativen Geschäft mit dem schwarzen Gold profitieren: Die globalen Öl-Multis, deren Glaspaläste die maroden Wohnblocks von Juschno-Sachalinsk überragen, vielleicht noch die Casino-Betreiber, deren Glitzertempel sich in der Hauptstadt der russischen Halbinsel Sachalin auf fast wundersame Weise vermehren. Und schließlich der Staat, der sein Säckel bereitwillig öffnet beim Roulette um die größten unerschlossenen Öl- und Gasvorkommen der Welt: Mehr als 13 Milliarden Barrel (ein Barrel sind etwa 159 Liter) sind es, die in den kommenden Jahren im Schelf vor Sachalin aus dem Pazifik gefördert werden sollen.
Es ist die größte Investition in der Geschichte Russlands: In sechs Etappen, die der Reihe nach von »Sachalin-1« bis »Sachalin-6« durchnummeriert sind, sollen insgesamt 100 Milliarden US-Dollar Kapital fließen. Allein in das Förderprojekt »Sachalin-2« wurden bislang zehn Milliarden Dollar investiert. Federführend ist hier das Firmenkonsortium »Exxon-Mobile«, zu dem auch Shell, Mitsubishi und Misui gehören.
Zaungäste bleiben jedoch die 650 000 Bewohner der 950 Kilometer langen Insel: Jeder zweite ist arbeitslos und wer eine Stelle hat, muss oft mit 50 Dollar pro Monat auskommen. Auf der Bohrinsel können es schon mal 300 Dollar oder mehr sein. Kaum anderswo in Russland ist der Grat zwischen Arm und Reich so schmal.
Außen vor beim Geschäft mit dem Öl bleiben vor allem die Ureinwohner von Sachalin - die Niwchen, Nanaier, Oroken, Orotschen und Ewenken. Rund 3150 Insulaner gehören einem der so genannten indigenen Völker an. Mit gut 2000 Angehörigen stellen die Niwchen die größte dieser Bevölkerungsgruppen, die traditionell vom Fischfang lebt, während sich andere auf Rentierzucht spezialisiert haben. Nur die wenigsten haben einen Job in der Ölbranche. Und wer einen hat, muss in diesen Tagen bangen - zumindest in der Siedlung Wal im nördlichen Drittel der Insel: Die Wut gegen den Bau zweier Pipelines im Rahmen des Projekts »Sachalin-2« hat gut 300 Indigene auf die Straßen getrieben. Baustellen, Zufahrtswege und Wirtschaftsobjekte der internationalen Konzerne im Nordosten von Sachalin wurden gewaltlos blockiert. Mit der Aktion »Grüne Welle« wollen die Menschen auf die zunehmende Zerstörung der Flora und Fauna in ihrem angestammten Lebensraum aufmerksam machen. Unterstützt wurde die Protestaktion von zahlreichen Organisationen im In- und Ausland, unter anderem vom World Wildlife Fund (WWF) und der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in München.
Von den Verantwortlichen in Wirtschaft und Regierung fordern die Indigenen mit ihren Protesten ein unabhängiges Umweltverträglichkeitsgutachten sowie die Gründung eines Fonds für die Ureinwohner, der die Zerstörung ihres Lebensraumes kompensieren soll, sagt Jana Dordina, Projektkoordinatorin der Dachvereinigung der Ureinwohner Russlands »RAIPON«. Zudem wünschen sich die Indigenen mehr Mitbestimmung bei den geplanten Bauprojekten, die derzeit über ihre Köpfe hinweg entschieden werden. Verhandlungen mit Behörden und den Konzernen scheiterten jedoch erst im Dezember, als es RAIPON und WWF nicht gelang, alle beteiligten Parteien an einen Tisch zu bekommen - die Antwort darauf war nun die Protestaktion »Grüne Welle«.
Im Vorfeld der Aktion - so berichtet ein Augenzeuge - gab es kam es in Wal Druck auf die Einwohner: Firmenvertreter der Ölkonzerne seien von Tür zu Tür gegangen, um den Indigenen zu »empfehlen«, besser nicht an den Protestaktionen teilzunehmen - wenn ihnen ihr Job oder der ihrer Familienangehörigen wirklich etwas bedeute. Rund 30 Personen aus der Siedlung sind in der Ölbranche beschäftigt und müssen nun um ihre berufliche Zukunft fürchten. Jewgenij Schwarz vom WWF Russland zeigte sich empört über diese Einschüchterungsmaßnahmen.
Die beiden geplanten Pipelines sollen sich ihren Weg durch Weidegebiete von Rentieren, unberührte Wälder, aber auch Laichplätze von Lachsen bahnen: Die 800 Kilometer langen Röhren sollen auf ihrem Weg nach Süden 1103 Flüsse und Gewässer durchqueren, bis das schwarze Gold im Hafen neben Juschno-Sachalinsk auf Tanker verladen und nach Asien und Nordamerika verschifft wird. Sachalin soll zu einem der wichtigsten Öl- und Gaslieferanten für Japan und andere Länder der Region werden.
In der Vergangenheit war es wiederholt zu Umweltskandalen rund um das Großprojekt gekommen: Bereits zwischen 1999 und 2001 waren bei Bohrarbeiten mehr als 70 000 Tonnen versuechter Boden im Ochotskischen Meer versenkt worden. Zur gleichen Zeit, als die umstrittene erste Bohrplattform »Molikpak« errichtet wurde, machten Fischer in der unweit entfernt gelegenen Piljtun-Bucht eine böse Entdeckung: Mehr als 5000 Tonnen toter Pazifik-Heringe waren angeschwemmt worden, berichtet der WWF Russland.
Bedroht sind auch die letzten 100 Nordpazifik-Grauwale, die die Sommermonate vor Sachalin verbringen und durch den Bohrlärm sowie die veränderte Unterwasserwelt nicht mehr genug Nahrung vorfinden, warnt der Internationale Tierschutzfonds (IFAW).
Zudem befindet sich Sachalin in einem erdbebengefährdeten Gebiet. Bereits kleinere Erdstöße hier könnten zu einer Naturkatastrophe von kaum vorstellbarem Ausmaß führen. So vernichtete ein Beben der Stärke 7,5 im Jahre 1995 große Teile der Ölarbeiterstadt Neftegorsk nördlich von Wal.

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