Zurück im Paradies

Jenny Alten fand ihre Heimat wieder

Hinter unserem Einfamilienhaus in Zehlendorf lag ein riesiger Garten mit einem kleinen, undurchdringlichen Wald. Mittendrin stand eine Hütte, wo in den Vorstellungen von uns Kindern eine Hexe wohnte. Wir lebten in einer eigenen, fantastischen Welt.
Als ich fünf war, zog meine Familie nach Wilmersdorf, also in die Stadt. Das war meine Vertreibung aus dem Paradies. Hinter dem neuen Haus gab es keinen Garten mehr, sondern eine Beton-Sandkiste. Am ersten Tag traf ich dort Martin aus der Wohnung über uns. Er stellte sich mir mit seinem BMX-Rad in den Weg und sagte: »Verschwinde!« Ich verschwand aus Berlin. Zum ersten Mal mit 13. Einige Zeit lebte ich bei meinem Onkel in Washington. Ich fotografierte viel und dachte: Später werde ich Fotografin!
Zum Film kam ich mit dem Umweg über die Schweiz. Meine Berliner Schule schmiss mich raus. Meine Zensuren waren zwar gut, aber ich stellte unanständige Fragen im Unterricht oder erschien erst gar nicht. So kam ich auf ein Internat im Engadin. Das fand ich gut, denn dort konnte ich Snowboard fahren. Nach der Rückkehr musste ich einmal pro Woche zur Psychologin. Ich erzählte ihr nichts über mich, sondern dachte mir Geschichten aus. Die Übung brachte mich auf den Gedanken, mit Bildern und Geschichten zu arbeiten. Als Berlin hip wurde, studierte ich Produktion an der Filmhochschule in München. Die Schule dort war nicht so abgehoben wie die in Berlin. München macht Kino fürs Publikum, in Berlin zählen nur Innovation und Experiment.
München als Stadt fand ich total langweilig. Ich wohnte daher provisorisch zur Untermiete. Auf keinen Fall wollte ich eigene Möbel besitzen und mich dadurch an den Ort binden. Wichtiger als München wurde Los Angeles, obwohl die Menschen mir dort kalt vorkamen. Ich besuchte die Sommeruniversität und lernte meinen Freund kennen. Mindestens zweimal im Jahr flog ich für längere Zeit zu ihm, während ich in München weiterstudierte. Im vorigen Jahr machte ich ein europäisches Aufbaustudium in Stuttgart und Paris. Die von mir produzierten Filme spielen in Rumänien, Georgien, Bayern und Thüringen. Ein kurzer Film lief schon mit Erfolg auf der Berlinale. Es ist ein tolles Gefühl, einen Film gemacht zu haben, den die Leute dort sehen wollen, wo man herkommt.
Zuerst wollte ich Filme machen und später eine Familie gründen. Aber alles kam anders. Ich wurde schwanger und beschloss, an den Ort zurückzukehren, wo meine Wurzeln liegen. Man benötigt eine größere Familie, wenn man ein Kind haben und trotzdem unabhängig sein will. Ich zog zurück in die Zehlendorfer Siedlung, in der ich aufwuchs. Die Straße heißt einfach Heimat. Meine Eltern wohnen gleich in der Nähe. Auf sie kann ich mich verlassen, wenn ich Unterstützung brauche. Das Büro meiner Filmproduktion ist in Kreuzberg. Wenn ich abends vor meinem kleinen Haus aus dem Auto steige, kommt es mir vor, als wäre ich in einer anderen Stadt angekommen, in einer anderen Luft. Hier soll mein Kind sein Paradies finden.
Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.