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  • Politik
  • Tele-Tagebuch: Historische Bilder- dazwischen die Flut

Wider die Sorglosigkeit

  • Peter Hoff
  • Lesedauer: 3 Min.

Aber bitte nichts über das Wetter!, wünschte sich mein Redakteur vom »Tele-Tagebuch« und meinte damit, ich solle doch die Berichte aller deutschen Fernsehkanäle über das Oder-Hochwasser auslassen. Leichter versprochen als gehalten: Die Flut sprengt auch die Deiche in den Programmen, als »B 1 Spezial« spaltete sie sogar den Kompilationsfilm »Berlin unterm Hakenkreuz« in zwei Teile. Eben noch beschenkte Reichsjägermeister Hermann Göring die Kinder der Forstangestellten und Waldarbeiter aus der Schorfheide - da schwappte sie mir auch schon ins Wohnzimmer, die »Jahrhundertflut«. Diesmal nicht als Protokollveranstaltung für profilierungsgeile Politfunktionäre - bis auf Westerwelle haben sich schon alle telegen nasse Füße geholt, oder habe ich den nur übersehen? - sondern als Megacüp für die Bundeswehr-Werbung. Andreas Schneider wußte sich schier nicht zu halten vor Begeisterung über die »tolle Truppe« im Tarnanzug und ließ sich zu der Frage an den

PR-Hauptmann hinreißen, ob die jetzt einen neuen Sinn bekomme. Mitnichten, widersprach kategorisch der Militär, aber eine Herausforderung sei das viele Wasser allemal. Bei Hochzeiten im Katastrophengebiet, zeigt der Bericht, bilden Soldaten Spalier und schaffen die Heiratskandidaten im Einsatzfahrzeug aufs Standesamt. Ein Grund mehr, finde ich, zu prüfen, ob man sich unter diesen Umständen ewig binden will.

B 1 wiederholte an seinen »Gemsehabenden« der letzten beiden Wochen die historischen Berlin-Dokumentationen von Irmgard von zur Mühlen. Ich gehöre nicht zu den Liebhabern dieser Filme. Zu sehr wird der politische Hintergrund ausgespart, zu unkritisch werden Zeiterscheinungen reflektiert, die aus heutiger Sicht hinterfragt werden müßten. Und doch - in solcher Folge hintereinandergestellt, geben diese Aufbereitungsversuche von historischem Filmmaterial ein originelles Zeitbild. Der Filmabend wird zum Blättern in einer Art von kollektivem Familienalbum. Da setzt der »Weißt-dunoch«-Effekt ein, der Zuschauer ist geneigt, eigenes Erleben in die historischen Bildfolgen einzubringen, Leerstellen mit

Selbsterfahrenem zu füllen. Der zweite Abend führte bis ans Ende des zweiten Weltkrieges, bis zu Hitlers Tod im Keller der Reichskanzlei in Christian Klemkes und Manfred Köhlers Dokumentation »Gruppenbild mit Leiche«, und schließt so den Kreis zum Themenabend »Berlin und die Berliner unter Hitler« - von anfänglicher Skepsis gegenüber dem »Führer« über die Begeisterung für den »Sieger an allen Fronten« bis zu Ernüchterung und Katerjammer in der »Stunde Null«.

Und noch einmal Flut, diesmal an der Nordsee und basierend auf großer Literatur. N3 sendete den »Schimmelreiter« in der deutschen Filmfassung von 1934. Curt Oertel und Hans Deppe hatten seinerzeit Theodor Storms Novelle in ein Drama über das »Volk ohne Raum« umgearbeitet, das seinen Führer im Deichgraf Hauke findet und, als es ihn verrät, vom Schicksal gestraft wird. Den Nazis war dieser Film immerhin so wichtig, daß sie ihn »für alle Zeiten« bewahren ließen, und Hauptdarsteller Matthias Wiemann startete damit seine braune Karriere als »Staatsrat«. Nichts gegen den Film als historisches Dokument einer Literaturadaption. In einer Zeit, in der profaschistisches Denken immer öfter an die Öffentlichkeit drängt, hätte solch ein Film freilich eine historisch relativierende Einführung verdient gehabt. In zu vielen Köpfen schwappt schon die braune Brühe, als daß sich deutsche Fernsehanstalten immer wieder diese Sorglosigkeit im Umgang mit dem nazistischen Erbe leisten könnten.

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