nd-aktuell.de / 29.09.1997 / Politik / Seite 6

Wie Ehrenbürger entsorgt wurden

Unter Ausschluß der Öffentlichkeit strich der Senat vor fünf Jahren 15 Namen rot durch Von Norbert Podewin

Im geteilten Stadt entstanden historisch zwei Ehrenbürgerlisten. Aus 22 Namen (Ost) plus 94 (West) wurden 101 (gesamt), als Senat und Abgeordnetenhaus 1992 in einem »vertraulichen« Vorgang die »Zusammenführung« errechneten. Fünf Jahre danach kann dieses dunkle Geschichtskapitel erhellt werden.

Am 29 September 1992 teilte die damalige Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Hanna-Renate Laurien, dem Regierenden Bürgermeister Diepgen »das Einverständnis des Abgeordnetenhauses zu der Übernahme von 7 Persönlichkeiten aus dem ehemaligen Ostteil und damit zu der aktualisierten Gesamtliste der Ehrenbürger des Landes und der Stadt Berlin« mit. »Während die Fraktionen von CDU, SPD und FDP der Gesamtliste ihre uneingeschränkte Zustimmung gaben«, so Laurien, »haben PDS und Bündnis 90/Grüne erklärt, daß sie insbesondere wegen der Nicht-Übernahme der übrigen Ehrenbürger Berlins (Ost) der Gesamtliste die Zustimmung verweigern. Wegen der darin geäußerten prinzipiellen Auffassungen zu dieser Thematik füge ich Fotokopien der an mich gerichteten Schreiben der beiden genannten Fraktionen zu Ihrer Kenntnisnahme bei.«

»West-Standard« war angesagt: »Nach den geltenden Vorschriften erfolgt die Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch den Senat im Einvernehmen mit dem Abgeordnetenhaus«, hieß es in einem Text (Skzl/VI/A 3) vom 4. Juni »Zur Senatssitzung am 16. Juni 1992 - außerhalb der Tagesordnung«. Und weiter: »Die geltenden Richtlinien von 1953 haben sich bewährt und sollten beibehalten werden.« Weiter wird erläutert, es sollten »im Hinblick auf die historische Entwicklung Berlins in den vergangenen vierzig Jahren... diejenigen Ehrenbürger ... integriert werden, deren Verdienste im kulturellen oder wissenschaftlichen Bereich liegen und jenseits politischer Systeme Gültigkeit haben.« Verzichten solle man »auf Übernahme der Ernennungen, die rein politischer Natur waren, unerheblich ob sie Zivilisten oder Militärs betrafen.« So kategorisiert wurde selektiert. Es blieben auf der Senatsliste von den 22 Ost-Ehrenbürgern ganze sieben: Heinrich Zille, Otto Nagel, Anna Seghers, Sigmund Jahn, Waleri Bykowski, Wolfgang Heinz, Wieland Herzfelde.

Bei den 15 anderen Persönlichkeiten war nur der Rotstift gefragt. Walter Ulbricht, Friedrich Ebert und Wilhelmine Schirmer-Pröscher, der UdSSR-Diplomat Pjotr Abrassimow mit seinen spezifischen Verdiensten um das Vierseitige Berlin-Abkommen vom 3. September 1971 sowie elf sowjetische Befreier des Jahres 1945 standen zur »Entsorgung« an: Fjodor Bokow, Michail Jegorow, Meliton Kantarija, Iwan Konew, Alexander Kotikow, Nikolai Massalow, Michail Salamantin, Wladimir Semjonow, Wassili Sokolowski, Wassili Tschuikow - und schließlich noch Nikolai Bersarin. Ihr Un-Verdienst? Die Ehrenbürgerwürde sei unter den Aspekten für Verdienste um die »Arbeiterklasse bzw -bewegung, die Befreiung Berlins vom Faschismus oder die Vertiefung der Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR verliehen« worden. Dann die lapidare Aberkennungsbegründung: »Eingedenk der Opfer der Berlin-Blockade, des 17 Juni 1953, der Mauer verbietet sich die Übernahme in die Gesamtliste.«

lichen Grundlage von 1953 ausgeschlossen wird. Da beide »eine starke Identifikation für alle Bürger der Stadt Berlin darstellen«, sei die Ausnahme gerechtfertigt. Und der Fliegergeneral Sigmund Jahn der Nationalen Volksarmee der DDR? Seine Leistung sowie die seines sowjetischen Partners Waleri Bykowski hätten »national und international... große Anerkennung« gefunden. Aber da war zugleich noch mehr Kalkül im Blick. »Sie durch Aufnahme in die Gesamtliste zu würdigen, heißt zudem, zwei noch lebende Persönlichkeiten als Ehrenbürger Berlins zu berücksichtigen, die insbesondere den Berlinern der östlichen Stadtbezirke und darüber hinaus in den neuen Bundesländern auch heute noch als bedeutende Vertreter der Raumfahrt nachhaltig im Bewußtsein sind.« Unter diesem Aspekt werden dann Jahns erwähnte Auszeichnungen (»Verdienter Militärflieger der DDR«, »Fliegerkosmonaut der DDR« und »Held der DDR«) leichtgewichtet; vergleichsweise verliehene Auszeichnungen des Staates an Friedrich Ebert für dessen spezielle Verdienste um Berlin dagegen wirkten in den Augen des Diepgen-Senats als politisches Senkblei. Hält man sich zudem vor Augen, daß vor allem die Tilgung von Gesamt-Berlins erstem Stadtkommandanten, Nikolai Bersarin, heftige Empörung auslöste - der Bürgermeister des Bezirks Friedrichs-

hain, Helios Mendiburu (SPD), hatte beispielsweise mit Schreiben an den Senat öffentlich protestiert -, wird verständlich, warum im gesamten Schriftverkehr immer wieder der Verweis »vertraulich« erscheint: Einer öffentlichen Debatte sollte damit der Weg verbarrikadiert werden.