»Lernen ist wichtiger als Unterricht«

Bildungsmesse »didacta« schließt heute ihre Pforten

  • Detlef Träbert, Stuttgart
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Stuttgart war in dieser Woche der Nabel der deutschen Bildungswelt. Die erste »didacta - die Bildungsmesse« nach Veröffentlichung der Ergebnisse von PISA II stand unter hohem Erwartungsdruck. Das »ganze Spektrum der Bildung« wollte sie abbilden und gleichzeitig die aktuellen bildungspolitischen Diskussionen aufgreifen.

Im Mittelpunkt des Interesses von erwarteten 70000 Besuchern standen natürlich die Informationsstände der rund 640 Aussteller aus 14 Staaten zu Verlagsprodukten, Medien, Geräten und Ausstattung sowie Dienstleistungen. Doch auch das fast unüberschaubare Rahmenprogramm mit zahlreichen prominenten Referenten lockte in manchem Saal Massen an. »Schule besser machen« lautete das Motto seines mit allein über 880 Veranstaltungen größten Teils. »Das Bedürfnis der Pädagogen nach Information und Erfahrungsaustausch ist heute so groß wie schon lange nicht mehr«, stellte Andreas Baer, Geschäftsführer des mitveranstaltenden VdS Bildungsmedien e.V., zur Eröffnung von Europas größter Bildungsmesse fest. Die Themenpalette umfasste die neuen Bildungsstandards und Unterrichtsvorgaben, die Präsentation der didaktischen Konzepte neu entwickelter Lernmittel und sogar die Vermittlung von sozialpädagogischen Kompetenzen bei der Konfliktmediation (»Streit-Schlichtung«) in Schule und Unterricht. Vor allem die Schulen im unmittelbaren Einzugsgebiet der Messe nutzten die didacta als Fortbildungsgelegenheit. Schließlich ist qualifizierte Fortbildung teuer. 75 EURO billigt die Schulbehörde in Baden-Württemberg den Schulen als Referentenhonorar für einen Pädagogischen Tag zu. Dafür kann kaum ein Trainer auf dem freien Markt auch nur eine Stunde Fortbildung machen. Unverkennbar war auf der »didacta« der Trend zur Ganztagsschule. »So viele Angebote dazu bis hin zum fertigen Catering-System - das hat es bisher noch auf keiner "didacta" gegeben«, freute sich Landtagsabgeordneter Norbert Zeller (SPD) im Gespräch mit ND. Er kämpft im konservativ regierten »Muschterländle« gegen die ganztagsschulfeindliche Bildungspolitik von Kultusministerin Annette Schavan (CDU). Möbelhersteller boten mobile und flexible Einrichtungen für die multifunktionale Nutzung zum Beispiel des Speiseraums. »Wir sind Mitglied im Ganztagsschulverband geworden, um die diesbezüglichen Bedürfnisse der Schulen besser kennen zu lernen und sie umfassend beraten zu können«, verriet Verkaufsberater Ruffert von der Firma Conen. Verlage trugen mit entsprechend weiterentwickelten Schulbüchern, Arbeitsheften und Computer-Lernprogrammen der Notwendigkeit zu mehr individuellem Lernen in den Ganztagsschulen Rechnung. Doch ein Aufbruch hin zu einem neuen Schulsystem mit integrativen Strukturen war das noch nicht, und so sahen etliche Experten diese Aufbruchstimmung mit Skepsis. »Es ist ein Problem, das wir an vielen Stellen mit schönen Materialien, mit schönen Methoden kaschieren, was nicht passiert: die individuelle Wahrnehmung des Kindes«, mahnte Wilfried Steinert, Vorsitzender des Bundeselternrates und Leiter einer Grundschule im brandenburgischen Templin. Auch Otto Herz, einer der führenden deutschen Reformpädagogen unserer Tage, warnte: »Mehr vom Gleichen nützt nichts. Habe ich zehn ärgerliche Lehrer und füge diesen zehn weitere ärgerliche Lehrer hinzu, so ist das Problem verdoppelt und nicht gelöst.« Seine provokante These: »Lernen ist wichtiger als Unterricht.« Dafür benötigten wir mannigfaltige individuelle Lerngelegenheiten in anregungsreicher Umgebung. Die seien jedoch in einem selektiven und nach wie vor überwiegend auf Belehrung ausgerichteten Schulsystem nicht so leicht zu schaffen wie in einer integrativen Schule der Vielfalt. Solche Bedenken fechten die Bildungswirtschaft nicht an. 120,8 Milliarden Euro wurden laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2002 auf dem deutschen Markt für den direkten Bildungsprozess umgesetzt - ein Kuchen, von dem auch die rund 50 ausländischen Aussteller aus Österreich und der Schweiz, sogar aus den USA und aus Russland ein Stückchen abbekommen möchten. Und so präsentierte sich auf rund 50000 Messe-Quadratmetern ein breites Spektrum. Es reichte vom Slogan »Bildung beginnt bei der Geburt« bis zu einem Präsidententreffen europäischer Erwachsenenbildungs-Verbände. Nicht alles bot sich plump zum Kauf an; der Bildungsmarkt versteht es geschickt, sich interessant und immer unentbehrlicher zu machen. »didacta - die Bildungsmesse« konnte erfolgreich suggerieren: Wenn Lernen tatsächlich wichtiger als Unterricht ist, dann g...

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