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Die Alternative, genannt »Nachdenkmal« ...

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Die Schlachtviehperspektive. Aus dieser Sicht wird der »Heidenstein« von Groß Borstel demnächst zu betrachten sein

Foto: Rena Heilig

Nein, das Denkmal soll nicht abgetragen werden. Auch nicht verändert. Stange verstehe die »Geschichtlichkeit bestehender Denkmale«, meint der Leiter des Museums für Hamburgische Geschichte, Professor Jörgen Bracker Doch der Künstler sehe die Notwendigkeit, »weiterzugraben«, zu kommentieren - quasi als »künstlerische Strategie«. So jedenfalls benannte der Eppendorfer Künstler sein Anliegen auf einer Ausstellung. Was das bedeutet, kann man sich an der Hamburger »Verhörzelle«, seinem Denkmal in der Geschwister-Scholl-Straße, anschauen. Oder in der »Subbühne«, einem alten Bunker, den Stange gemeinsam mit Michael Batz im Wortsinn ausgegraben

Doch lange, bevor Stange den ersten Spaten ins Erdreich treten kann, ziehen andere Gräben durch den Stadtteil. Der Streit darüber, ob Stange soll und darf und wer's bezahlt, nimmt bisweilen bösartige Formen an. Klar gegen das Projekt stimmt der Kommunalverein.

Rein uraban betrachtet, hat die ländliche Enklave Groß Borstel wenig Charakter. Fünfzehn Busminuten von der City entfernt, Backstein-Reihenhäuser, die in den 50er Jahren eilig für Aussiedler hingebaut wurden. Dazwischen recken sich soziale Plattenbauten. Und es gibt Quer-

straßen, da lugt Reichtum durch gepflegte Hecken. Tagsüber arbeiten hier mehr Leute, als nächtens in dem Stadtteil wohnen. Die Lufthansawerft ist nahe, Airbus-Transporter fliegen Segmente für den DASA-High-Tech-Flugzeugbau ein.

Michael Werner-Boelz lebt gerne hier. Seine beamtete Frau verdient mehr, als er als studierter Sozialwissenschaftler je bekommen wird. Folglich hat er Erziehungsurlaub, kümmert sich um den Sohn. Reihenhausalltag zwischen IKEA-Möbeln, mit Miro an den Wänden und Goldhagen im Bücherregal. Michael ist einer von »Groß Borstel gegen rechts«, er unterstützt Stanges »Nachdenkmal« und ist bisweilen wütend, daß sich Freunde so schnell zufriedengeben, »wenn mal wieder etwas Ruhe herrscht im Land«. Für »etwas Ruhe« habe man das Anti-Rechts-Bündnis nicht gegründet, damals, »als in Solingen und andernorts Häuser und Menschen brannten«.

Michael ist ein Zugereister. Bayer In Illertissen arbeitete er »bei der Stadt« und engagierte sich aber für ein Deserteursdenkmal. Was der Arbeitgeber nicht ertrug. In Hamburg, so glaubte Michael, sei das Leben toleranter Auf seltsame Weise bestätigt sich das. Immer wieder hört er von auf Ausgleich Bedachten: »Junge, erst kommt der Mensch, dann der Nazi.« Kümmert euch um Ampeln,

schließt Spielhallen vor Schulen, kämpft gegen Fluglärm. Seid ihr Grüne - oder?

»Als ob das eine das andere ausschließen müßte«, meint Michael und erklärt sein ursprünglich widerstrebendes Mittun bei der GAL als »Rettung vor politischer Verkommenheit«. So ärgerlich' ist er auch über SPDler, die Aktionen gegen Ausländerfeindlichkeit und das »Nachdenkmal« erst unterstützten, nun aber - nach dem Zählen der Meinungen - leisetreten. Wenn sich sogar die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen aufmacht zu erklären, daß der Spruch mit der »größten Liebe beim Lebenlassen« auf das Wort Jesu, gesprochen beim Abendmal, zurückgeht, dann...

Nichts dann, sagt Michael. Da sind ihm jene fast lieber, die klar sagen, daß sie die Wehrmachtszeit nicht missen möchten. Nun weiß Michael auch, woran er mit einem seiner netten Nachbarn ist. Daß der »ein Reps ist« und - falls das Nachdenkmal gebaut wird - seinen Müll »in den Graben entsorgen will«, hat Michael schon erstaunt.

Einerlei, die ersten finanziellen Hürden sind genommen. Dank der Spenden. Mitte Mai, spätestens im Juni, wird gegraben. Michael ist optimistisch: »Nur mal so« legt er jedoch einen Zettel auf den Tisch: Stadtteilarchiv Eppendorf, Kto. 123 412 05 64, BLZ. 200 505 50.

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