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Materialreiche Studie

  • Andreas Herbst
  • Lesedauer: 3 Min.

Für den Titel des Buches stand ein Ausspruch von Ottomar Geschke, erster KPD-Chef von Berlin, Pate. »Wir sind die Staatspartei«, meldete er Anfang August 1945 den Anspruch auf die künftige Führung von Staat und Gesellschaft an. Gerhard Keiderling, ausgewiesener Kenner der Berliner Nachkriegsgeschichte, legt nach seinem 1993 im selben Verlag erschienenen Band über die »Gruppe Ulbricht« nun faktisch im Anschluß eine materialreiche Studie über die Berliner KPD in den Nachkriegsmonaten bis zur Gründung der SED vor.

Dereinst selbst die Berlin-Geschichtsschreibung an der Akademie der Wis-

senschaften der DDR mitverantwortend, analysiert der Autor zunächst politische Rahmenbedingungen, Einflußnahme und historische Phasen, unter denen Forschung und Publikation in der DDR zum Thema bis 1989 möglich waren. Der 1964 von Siegfried Thomas veröffentlichten Monographie »Entscheidung in Berlin« folgten zwar dutzende teilweise auch verdienstvolle Arbeiten zur Geschichte der SED in Berlin; sie blieben letztlich aber alle im engen Korsett der Parteigeschichtsschreibung stecken, so daß immer wieder Thomas Arbeit bemüht wurde. Jetzt hat Keiderling zu seinem Forschungsgegenstand in einer Tiefe wie wohl bisher noch keiner die Bestände des einstigen Zentralen Parteiarchivs der SED und des Berliner Bezirksparteiarchivs durchforstet und ausgewertet. Zu-

dem spürte er Material auch im Archiv für Christlich-Demokratische Politik in St. Augustin und im Archiv des deutschen Liberalismus in Gummersbach auf.

Keiderling reflektiert den Wiederaufbau der KPD nach jahrelanger Illegalität, analysiert deren soziale Zusammensetzung, deren Frauen-, Jugend- und Pressearbeit, das Schulungssystem der Partei, Kommunal- und Wirtschaftspolitik, den Stellenwert von Kultur und Erziehung etc. Auch solcher Fragen wie der nach dem öffentlichen Erscheinungsbild der KPD und ihrer Akzeptanz unter den Berlinern nahm er sich an. Ein vom September 1945 datierter »Bericht über das Verhältnis KPD-SPD« der Kaderabteilung des ZK der KPD wird von ihm zu Recht als »Schlüsseldokument für die Wahrnehmung der Sozialdemokratie und für die Konzipierung der künftigen Fusionspolitik« angesehen. Stellvertretend für die weitverbreiteten Anti-SPD-Stimmungen innerhalb der Berliner KPD-Basis unmittelbar nach Kriegsende zitiert Keiderling auszugsweise aus einen Bericht der KPD-Verwaltungsbezirksleitung Berlin-Trep-

tow vom August 1945: Da äußerte KPD-Sekretär Franz Tuttlies, daß die KP als einzige die Fahne des Klassenkampfes rein gehalten hätte, hingegen die reformistischen Führer von SPD und der ADGB durch Verhinderung der Einheitsfront 1933 Klassenverrat betrieben hätten. Solche Meinungen, so Keiderling, seien später von den übergeordneten Leitungen als »Sektierertum« kritisiert worden, da sie als Hemmnis auf dem Weg zur Einheitspartei angesehen wurden.

Die Monographie wird ergänzt durch diverse aufschlußreiche Tabellen zur Mitgliederbewegung sowohl in der KPD als auch SPD Im Literaturanhang finden sich neben den Standardwerken auch viele regionalgeschichtliche Arbeiten von DDR-Autoren, die zumeist außerhalb des Buchhandels erschienen sind und teils aus Unkenntnis, teils absichtsvoll bis heute negiert werden.

Tn der Reihe »Pankower Vorträge« des 1 Berliner Vereins »Helle Panke« erschienen »Oktoberrevolution in Rußland - ein unmöglicher Ausbruch aus der Welt des Kapitals?« mit Beiträgen u. a. von Wolfgang Gehrcke, Thomas Kuczynski und Wolfgang Küttler sowie »Lenins Testament und die Folgen« mit Referaten von Wolfgang Rüge, Theodor Bergmann, Wladislaw Hedeler und Mario Keßler (je 5 DM, zu bestellen über »Helle Panke«, Tel/Fax: 030/47 53 87 24). T Tnterirdischer Geschichte« (Adorno), \J d. h. kollektiven Unbewußtheiten bei Ost- und Westdeutschen, spürt Peter Schulz-Hegeleit nach: »Leben in Deutschland. 1945-1995« (Centaurus, 294 S., 28 DM).

Viele Straßen an Rhein und Ruhr sind nach Kommunisten benannt. »Stra-ßennamen erzählen Geschichten«, beweisen Günter Gleising und Franz Heiserholt (RuhrEcho Verlag, 95, S., 21 DM).

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