nd-aktuell.de / 20.06.1998 / Politik / Seite 20

l±ü4 Es geht auch ohne Feuer und Eis

Keine noch so gute Beschreibung kann das eigene Erleben der Insel ersetzen Von Christian Michael

Wer Westeuropäer nach Island befragt, bekommt nicht selten nur das stereotype »Feuer und Eis« über die Lippen. Dabei bietet die Insel im Nordatlantik weit mehr als diese Naturspektakels. An den Küsten wechseln Fjordlandschaften mit Steilklippen und flachen Sandern, während im Inneren Geröllwüsten mit grünen Tälern alternieren und graue Lavafelder von mächtigen Flüssen in tiefen Canyons mit Wasserfällen unterbrochen werden.

Zugegeben, die verwegene Schönheit dieses Spielplatzes der Elemente kann man nicht im Vorbeifahren konsumieren. Island will nicht bereist, sondern erobert werden. Erst dann kommt man den Urkräften ganz nahe, und die Begegnung mit der Eiszeit wird lebendig durch das Ausüben einer Reihe von Aktivitäten, die so intensiv und in solch geballter, unterschiedlicher Form ihresgleichen suchen. Dabei reicht die Palette vom ruhigen Angeln und Wandern über Jagen und Reiten bis zum wilden Mountain Biking, River Rafting und Gletscherabenteuer im Snowscooter

Mit einer gewissen Zwangsläufigkeit wird der Islandgast seinen Besuch der Insel im 105 000 Einwohner zählenden Reykjavik beginnen, das als nördlichst gelegene Hauptstadt der Welt gilt und deren Name sich als »rauchende Bucht« übersetzen läßt. Auf Island hat man sich die geothermische Energie zunutze gemacht, Heizungen auf Öl-, Gas- oder Kohlebasis sind deshalb so gut wie unbekannt, und die Isländer selbst halten Reykjavik für die sauberste Stadt der Welt. Die Luft ist klar, und oft genießt man eine ausgezeichnete Fernsicht über 96 Kilometer Luftlinie bis zum schneebedeckten 1466 Meter hohen Vulkan Snaefelljökull.

Zentrum des Gletschertourismus ist jedoch Höfn am Südostrand des Vätnajökull, des mit seiner mächtigen Kappe größten Gletschers der'Weif (abgesehen von Grönland und der Arktis). 50 Kilometer westlich, an der Skälafellsjökull-

Zunge, geht's auf Gletscher-Safari. Beste Aussicht auf die Eismassen gibt's bei diesem Erlebnistrip auf ewigem Eis gratis dazu. Wer es ruhig liebt. Zu den eindrucksvollsten Abenteuern gehört eine Bootsfahrt auf dem 120 m tiefen Gletschersee Jökulsälön. Auf der Lagune treibende, bizarre Eiskolosse in den verschiedensten Farben von weiß über blau bis schwarz zu hören, zaubern einen Hauch von Arktis herbei.

Bei so viel Eis muß es auch Wasser geben. In der Tat: Eine Reihe von imponierenden, ganz unterschiedlich strukturierten Wasserfällen hat das Land aufzubieten. Während brüllende Wassermassen den 56 m größten europäischen Was-

serfall Dettifoss hinunterdonnern und der Fluß Hvitä am Gullfoss sich eine 3 bis 4 km lange, 70 m tiefe, mächtige Schlucht ins Hochplateau gegraben hat, fließt der Skögafoss breit und ebenmäßig wie ein Schleier.

In jüngster Zeit entdecken River Rafter die Stromschnellen der isländischen Flüsse. Hartgesottene Aktivurlauber probieren sich in Schlauchbooten und Kanus auf der Hvita unterhalb des Gullfoss sowie in verschiedenen Schwierigkeitsgraden (auch für Kinder ab 6 Jahren) auf Blanda sowie Jökulsä Vestari und Austari.

Island gilt als Paradies für Hobby- und Sportangler Fünf Fischarten sind dort heimisch: Forelle, Saibling, Aal, Stichling

und Lachs, wobei für letzteren die Saison von Mitte Mai bis Ende September gilt. Islands Behörden sind sehr um diese Fischbestände bemüht und beschränken das Angeln deshalb mit der Ausgabe von Lizenzen, die zumeist in den Gemeinden erhältlich sind. Beste Lachsgewässer sind die Flüsse Elidäa bei Reykjavik oder Laxä, der aus dem Myvatn fließt, einem einzigartigen See im Norden der Insel, dessen Name sich schlicht mit »Mückensee« übersetzen läßt.

Der malerische, von Ufern mit grüner Mondlandschaft umgebene See mit seinen Wollgrasfeldern ist auch ein Eldorado für Ornithologen. Alle 15 isländischen Entenarten sind hier vertreten. Auf organisierte Gänsejagd dagegen geht man in der Saison, die am 20. August beginnt, in Skagafjördur. Acht Abschüsse pro Person und Tag sind hier das Limit.

Skagafjördur ist auch bekannt als »Tal der Pferde«. Hier ist Ihre Chance, Erfahrungen auf dem Rücken eines Island-

pferdes zu sammeln. Seit rund 1000 Jahren wird diese Rasse ohne Fremdeinkreuzung gezüchtet und gilt als direkter Nachkomme des germanischen Pferdes des Mittelalters. Den genügsamen Tieren kann sich auch jeder unerfahrene Reiter anvertrauen. Ausgesprochene Reitkleidung ist in Island unüblich, nur dem Wetter sollte sie angepaßt sein. Selten erreicht das Thermometer auf Island 20°C, und mit einem starken, kurzen Schauer muß jederzeit gerechnet werden, auch wenn dieser von Wind und Sonne schnell wieder vertrieben ist.

Mit den erstaunlich trittsicheren Pferden geht es je nach Anspruch und Ausdauer auf einstündige bis mehrtägige Wanderritte vorbei an Gletscherflüssen, Sand- und Steinwüsten, heißen Quellen und brodelnden Schlammkesseln und natürlich den bekannten Geysiren. Einer der bedeutendsten ist wohl der Strokkur in Hankadalur, der etwa alle fünf Minuten bis zu 30 m hoch springt.

Wer etwas länger mit den Pferden unterwegs ist, lernt, daß das Islandpferd ein sogenanntes Gangpferd ist, sogar ein Fünfgänger- Neben Schritt, Trab und Galopp beherrscht es noch zusätzlich den geschmeidigen Tölt und den fliegenden Pass. In jedem Fall: Im Endspurt geht es nach Hause, wenn die Tiere spüren, daß es nicht mehr weit ist bis daheim.

Wem das zu tierisch ist: auch Mountainbiker haben Island mit seinen rauhen Pisten als Idealziel aller Off-Road-Radler entdeckt. Trotzdem, auch auf Island gibt es Gesetze, die das Querfeldeinfahren nicht überall erlauben. Empfehlenswert sind deshalb organisierte Touren.

Bleibt zu guter Letzt der Trip auf Schusters Rappen, bei dem vielleicht am meisten Naturverbundenheit dokumentiert wird. Auch hier gilt es, notwendige Erfahrung für schwieriges Terrain nicht zu unterschätzen sowie auf solide Ausrüstung und gute Kondition zu setzen.

Fragen wir das nächste Mal wieder nach Island, dann waren es vielleicht gar nicht die Gletscher und Geysire, Wasserfälle, Rafting- und Reitabenteuer, die am meisten beeindruckten, sondern andere Gäste, die Island von Mai bis September besuchen; dann nämlich ist auf Island Walfisch-Saison, heutzutage weniger zum Fangen denn zum Schauen.