Positive Zwischenbilanz

  • Francis Wurtz
  • Lesedauer: 3 Min.
Das erste Jahr der Legislaturperiode des Europäischen Parlaments war geprägt von heftigen Auseinandersetzungen zu Grundzügen der Architektur Europas. Gemäß ihrem Charakter und ihren Prinzipien hat sich unsere Fraktion aktiv engagiert und sich im Parlament, bei Gewerkschaften, Vereinen und Verbänden endgültig Anerkennung erworben. Die kommenden Monate unter britischer Ratspräsidentschaft werden von den gleichen Themen beherrscht sein. Daher müssen wir nicht unsere politischen Prioritäten ändern, sondern uns weiter in die existenzielle Debatte über Europas Zukunft einbringen. Die erste Grundsatzentscheidung lautet: »soziales« oder »liberales« Europa. Dass das heutige Modell der Union nicht mehr funktioniert, davon zeugen 20 Millionen Arbeitslose, die galoppierende Ausweitung gering bezahlter und sozial nicht abgesicherter Arbeitsverhältnisse, regionale Entwicklungsunterschiede, Wettbewerbswahn und Liberalisierung der öffentlichen Dienste sowie die Reduzierung der öffentlichen und sozialen Ausgaben und Gehälter. Um das Vertrauen der Menschen in Europa zurück zu gewinnen, ist es unverzichtbar, an einem alternativen Konzept zu arbeiten. Dies war und ist ein zentrales Anliegen unserer Fraktion. Ein Beispiel: Im Kampf gegen die Bolkestein-Richtlinie waren wir treibende Kraft. Das Thema ist nicht vom Tisch! Das Parlament wird sich damit im Herbst erneut befassen müssen. Das wird zur Kraftprobe mit den liberalen Kräften und dem britischen Ratsvorsitz. Eine zweite Grundsatzfrage ist die nach der Rolle der EU bei der Lösung der großen Probleme unseres Planeten. Europa war in der Lage, beim Kyoto-Protokoll ein positives Zeichen zu setzen. Im Gegensatz dazu lässt sich die Union von der Bush-Administration im Namen der Terrorbekämpfung - die selbstverständlich legitim ist - in ein gefährliches militaristisches Getriebe hineinziehen. Unsere Fraktion hat auch dieses Thema in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gerückt. So haben wir Vertreter der irakischen Zivilgesellschaft ins EU-Parlament eingeladen, um die Notwendigkeit zu illustrieren, die Okkupation und den Krieg zu beenden. Und wir haben dem britischen Außenminister Jack Straw die Konsequenzen dieses Krieges für Europa vor Augen geführt und ihn daran erinnert, dass der Krieg selbst nach Einschätzung der CIA Irak in ein »terroristisches Labor« verwandelt hat. Das war am Vorabend der Anschläge von London... Eine dritte Herausforderung birgt der Graben, der sich zwischen den europäischen Institutionen und der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger aufgetan hat. Die Legislaturperiode hat mit der Krise um die Barroso-Kommission begonnen. Und sie endete mit dem Streit des Europäischen Rats über die Finanzplanung bis 2013. Die Europawahlen, die vor diesen Ereignissen stattfanden, waren bereits von einem historischen Rekord der Nichtbeteiligung geprägt. Dies ist ein Ausdruck der Vertrauenskrise der Europäer gegenüber der Art und Weise, wie Europa gestaltet wird. Für unsere Fraktion sind das die Kernprobleme der Debatte über das EU-Verfassungsprojekt. Das Unbehagen unserer Mitbürger ergibt sich sowohl aus den liberalen Abwegen der Politik als auch aus dem Gefühl, dass Politik weit weg von den Menschen und ohne sie gemacht wird. Unsere Fraktion hat sich als einzige - fast einstimmig - für ein »linkes Nein« zu dieser Verfassung und für eine demokratische, soziale und friedliche Alternative ausgesprochen. Die beispiellose Mobilisierung in Frankreich markiert in unseren Augen den Beginn einer offenen Debatte über die Zukunft der Union. Das Ergebnis in den Niederlanden hat diese Tür weiter geöffnet. Die Verfassungsdebatte im Parlament wird andauern. Unsere Fraktion betrachtet das als eine historische Herausforderung.
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