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  • Politik
  • mmwibbiiwii Akten über Schicksal

der Opfer noch verschlossen

Nur die Überlebenden selbst erhalten in Arolsen knappe Einzelauskünfte

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Ulrich Sander

Hätte Schindlers Liste im Archiv deutscher Banken und Konzerne oder beim Internationalen Roten Kreuz gelegen, wären weder das Buch noch der Film über die Rettung überlebender Holocausopfer je entstanden.

Die Öffnung aller für die Aufklärung der Schicksale von Sklavenarbeitern und anderen Opfern des NS-Regimes unverzichtbaren Archive verlangten die Vertreter von Verfolgtenverbänden und Archivvereinigungen aus Frankreich, Belgien und Deutschland kürzlich nach einer Tagung in Bonn vor Journalisten. Speziell verlangten sie den Zugang zu den Firmenarchiven der Konzerne und des Arolsen-Suchdienstes vom Internationalen Roten Kreuz. Nicht zuletzt soll so eine Antwort auf die Frage gefunden werden, was eigentlich in das geplante Dokumentenzentrum am Berliner Holocaust-Mahnmal hinein soll.

Über 50 Jahre nach Kriegsende muss sich Deutschland noch immer den Vorwurfgefallen lassen, dass mindestens eine Million überlebende Zwangsarbeiter nach wie vor keine »Reparationsleistungen« so der offizielle Begriff - erhalten haben. Zudem sind die Akten und Karteien der

Lager- und KZ-Opfer nach wie vor nicht wissenschaftlich ausgewertet worden. Der Internationale Suchdienst in Arolsen (IST) erteilt ausschließlich ehemaligen Lagerinsassen knappe Einzelauskünfte (mit vierjähriger Bearbeitungsdauer), Wissenschaftlern oder Journalisten ist der Zugang versperrt.

Ulrich Schneider, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten WN-BdA ist darüber empört: »Nicht einmal die Gedenkstätten oder die Opferverbände erhalten Einblick in das Archiv.«

Seit Jahren gibt es Bemühungen, diesen unhaltbaren Zustand zu ändern. Maurice Voutey, Präsidiumsmitglied der Nationalen Französischen Föderation der Deportierten oder Internierten, Widerstandskämpfer und Patrioten (FNDIRP), berichtet über Initiativen seiner Organisation für die Sicherung und Öffnung des Archivs. Neben Appellen an das Internationale Rote Kreuz und an beteiligte Regierungen, darunter die französische und die deutsche Regierung, organisierte die FNDIRP vor einem Jahr ein internationales Symposium in den Räumen des europäischen Parlaments, um die Zukunft des IST in Bad Arolsen zu erörtern. Diese Zukunft wird derzeit von zehn westlichen Regierungen bestimmt, östliche sind ausgeschlossen.

Charles Kecskemeti, bis vor kurzem Generalsekretär der internationalen Archiv-

vereinigung in Paris, und Yannis Thanassekos, Direktor der Brüsseler Auschwitz-Stiftung, unterstützen das gemeinsame Anliegen. Sie zeigen auf, welche überragende Bedeutung die Unterlagen des Arolser Archivs für die Historiker haben. Es sei dringend geboten, die Unterlagen der Forschung zur Verfügung zu stellen, so lange noch Zeitzeugen am Leben sind. In diesem Sinne haben sich auch die Gedenkstätten Deutschlands - bislang freilich vergeblich - an den Bad Arolser Suchdienst sowie die Bundesregierung gewandt.

Die Bundesregierung, für die Finanzierung des ansonsten unter westlich-alliierter Kontrolle stehenden Suchdienstes zuständig, weigert sich, Mittel für eine erweiterte Nutzung der Informationen von Bad Arolsen bereitzustellen. Immerhin hat mittlerweile der Kulturstaatsminister Michael Naumann sein Interesse an den 35 Kilometer Akten sowie den vollständigen Totenbüchern von Buchenwald und anderen KZ bekundet. Ob sich dadurch Entscheidendes ändern wird, ist allerdings fraglich, wie auch Ulrich Schneider die Lage nach dem Machtwechsel in Bonn einschätzt. Von einem Druck Bonns auf das Rote Kreuz und die westlichen Siegermächte ist jedenfalls noch nichts zu spüren. Für den nötigen Druck müssen wohl die Opfervereinigungen sorgen.

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