Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Heute wird der Schauspieler Martin Flörchinger 90 Jahre alt

Ernste Kraft, stämmiger Witz

  • Hans-Dieter Schutt
  • Lesedauer: 5 Min.

Martin Flörchinger (r.) und Norbert Christian 1966 in Brechts »Flüchtlingsgesprächen« Foto: ND-Archiv

Allegorisch gesagt: Als die Zeit herankam, konnte er endlich nach Hause zurückkehren - weil ihm Zeit zuarbeitete. Politisch gesagt: Als er Rentner wurde, konnte er aus der DDR in die Bundesrepublik umsiedeln. Künstlerisch gesagt: Das Berliner Ensemble, die DEFA und das Fernsehen in Adlershof erlitten 1976 einen erheblichen gestalterischen Verlust.

Martin Flörchinger wird heute 90 Jahre alt. Geboren in Geisenhausen bei Landshut, lebt er also seit langem wieder in Bayern. Er ist Schauspieler in Dieter Dorns Ensemble der Münchner Kammerspiele, und als ich ihn dort vor einiger Zeit sah er spielte den Vater des Odysseus in »Ithaka« von Botho Strauß -, befiel mich ein seltsames »Besitzgefühl«: Mir war nämlich so (gewisslich eine anmaßende Übertreibung!), als verbände mich inmitten dieser vielen Münchner Zuschauer etwas Einzigartiges mit diesem alten Mann auf der Bühne, etwas Bewegendes, etwas von vielen inzwischen Vergessenes, von dem ich geradezu wünschte, dass kein anderer im Publikum es mit mir zu teilen imstande sei. Denn: Martin Flörchinger war einer der großen, populären Schauspieler des deutschen Ostens, als dieser noch Republik war, und in so einem Moment wie dem eben beschriebenen spürt man als Zuschauer die lebensbegleitende Kraft, mit der gerade Schauspieler-Gesichter sich in das eingraben, was Fellini »unser seelisches Gedächtnis« nennt.

Geheimakten Solvay, die beiden Thälmann-Filme, Thomas Müntzer, Polonia-Expreß, Ehesache Lorenz, Seilergasse 8, Mord in Gateway, For eyes only, Chronik eines Mordes, Der geteilte Himmel, Junge Frau von 1914, Dr. med. Sommer II ... Die Liste der Streifen ist lang, sehr lang. Und sicher hat es deshalb vor allem manchen Filmfreund damals verwundert, Flörchinger praktisch über Nacht nicht mehr auf

der Leinwand oder auf dem Bildschirm zu sehen.

Dieser Schauspieler wirkte durch massige Eindringlichkeit. Starke Beruhigtheit ging von ihm aus, stilbildende Gebremstheit; etwas durchdringend Väterliches auch, dem ein schmaler Mund die nötige Strenge beifügte. Besonders im Film schienen Gestalt und Darsteller ohne Lötspuren ineinander überzugehen. Unverkennbar die aufgeraute Stimme, die auch

im Hörspiel und bei der Synchronisation wunderbar mit gebrochenen und gepressten Tönen umzugehen, zwischen Weich und Hart gut zu nuancieren wusste. Der Bayer, seit 1953 in Berlin: Die Großmutter war Bauernmagd, der Großvater Streckenarbeiter, die Mutter Kleinmagd. Doch die Kleinmagd wurde Schauspielerin, und Schauspieler war auch Flörchingers Vater. Sein Jugendmilieu hat er selbst alSj »links«; f bezeichnet., Leipzig,

Stettin, Gera, Frankfurt am Main, Dortmund, Königsberg, Erlangen, Darmstadt: eine durch Krieg und Gefangenschaft unterbrochene Kette der Provinzen, die zu Universitäten für den Beruf wurden. Nach dem Krieg wieder Spiel (und auch Regie!) in Leipzig, unter Intendant Max Burghardt, danach drei Jahre Deutsches Theater (Thomas Müntzer, Don Philipp) bei Wolfgang Langhoff, ab 1956 Brechts Berliner Ensemble. Die entscheidende Ankunft; wesentliche Regisseure wurden in den folgenden Jahrzehnten Erich Engel, Manfred Wekwerth, Ruth Berghaus.

Brechts Schwejk, der Dogsborough im »Ui«, Pierpont Mauler in der »Heiligen Johanna der Schlachthöfe«, der Metzger in der »Mutter« und einer der Volkstribunen im »Coriolan« - was immer Flörchinger spielte: Es blieb in der Erinnerung eine faszinierende Balance aus Verschmitzheit, die sich selbstbewusst ins Körperliche wuchtete, und einem stämmigen Ernst, der doch selbst in Hauptrollen nie den Vordergrund suchte. Wo andere als Komödianten alles aus sich heraus prusteten, konnte er mit dem ganzen Körper in sich hinein kichern. Sensationell damals, ab Mitte der 60er Jahre, 0' Caseys »Purpurstaub« (Regie: Hans-Georg Simmgen), mit Flörchinger, Hiesgen, Kalisch, Lisewski, Naumann und Nico Turoff in einer der komisch-absurdesten stummen Rollen der DDR-Theatergeschichte: ein irischer Handwerker-Streich wider bornierte Engländer. Flörchinger präsentierte Dämlichkeit als subversiven Akt, Naivität als zerstörerische Waffe, störrische Rundlichkeit als nationales Selbstbewusstsein.

Martin Flörchinger 1996 auf der Bühne der Münchner Kammerspiele und der Moment des Erinnerns: Längst war das Konstrukt DDR untergegangen, aber die wenigen Sätze, die Martin Flörchinger da gegen Ende des Stückes von Botho Strauß sprach, schürten eine angenehme Melancholie. Denn auch die Arbeit dieses Schauspielers bildet den tragenden Fonds der Film- und Theatergestalten, mit denen viele Menschen in der DDR gleichsam aufwuchsen; und diese Bilder (die man von Zeit zu Zeit abruft, bei sich immer weniger bietenden Anlässen irgendeiner Alte-Filme-Sendung) nötigen einem die schöne Erkenntnis ab, dass sie weit inniger, viel selbstverständlicher zu uns gehören, als wir gemeinhin annehmen. ,

sehe Veranstaltungen bieten das Kultur-Zentrum Mouson-Turm und der Palmengarten. Im Jüdischen Museum wird eine 200-jährige Geschichte des ungarischen Judentums dokumentiert und im Karmeliter-Kloster, im Palais Jalta sowie im Museum für Moderne Kunst informieren Ausstellungen über ungarische Kunst vom Beginn dieses Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Das Kommunale Kino zeigt eine große Anzahl ungarischer Filme; dazu sind zahlreiche ungarische Filmemacher eingeladen. Neben den kleineren Musikprogrammen auf dem Gelände der Buchmesse, vor allem in der Ungarn-Halle 3.0, bietet Frankfurt ze.hn thematisch auf Ungarn bezogene Konzerte. Ein herausragendes Ereignis verspricht das Liszt-Ligeti-Konzert des Ungarischen Nationalen Philharmonischen Orchesters am 10. Oktober in der Alten Oper zu werden.

Zum Ende der Buchmesse wird Ungarn die Aufgabe der Landes-Präsentation symbolisch an Polen für das Jahr 2000 weiterreichen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal