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Das neoliberale »Geschenk für Europa«

EU-Kommissionspräsident setzt auf eine Kanzlerin Merkel

  • Florian Zink, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Zum ersten Mal hat sich ein Brüsseler Kommissionspräsident zur Regierungsbildung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union geäußert.
Eigentlich gehört es zu den diplomatischen Gepflogenheiten, dass sich die EU-Kommission nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten eines Landes einmischt. Doch bereits am Morgen nach der Bundestagswahl hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu einer raschen Regierungsbildung in der Bundesrepublik aufgerufen. Er verband damit möglicherweise die Hoffnung, dass die Chancen seiner Favoritin, Angela Merkel, dadurch steigen würden. Schließlich hatte die CDU-Chefin ihn als Präsident der EU-Zentrale vorgeschlagen. Noch deutlicher war die Einmischung der Kommission eine Woche vor der Bundestagswahl. Da hatte EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes zur Unterstützung der CDU-Kanzlerkandidatin aufgerufen. Sie jedenfalls empfinde Angela Merkel als »Geschenk für Europa«. Die linke EU-Abgeordnete Sarah Wagenknecht überraschte dies wenig: »Als bewährte Sachwalterin der Industrie im Kreise der EU-Kommission kann sie es nur begrüßen, wenn eine Schwester im Geiste Regierungschefin der Bundesrepublik wird.« Das deutsche Ergebnis ist eine riesige Enttäuschung für Europas konservative Parteien. Bis zum Frühjahr 2004 hatten sie im Europäischen Rat die absolute Mehrheit. Nach den Wahlen in Spanien und Portugal dominieren sie jedoch nicht mehr die EU-Gipfel. Mit den Voten in Deutschland und Polen hofften sie wieder in eine günstigere Ausgangsposition zu kommen. Wie man von einem prominenten deutschen konservativen Politiker hören konnte, »gab es bereits detaillierte Absprachen, Kommissionspräsident Barroso aus Berlin viel stärker zu unterstützen als bisher«. In der »Financial Times Deutschland« wird unter der Überschrift »Liberalisierung verhindert« diese Strategie nachgezeichnet. Danach hatten Barroso und der britische Premier Tony Blair als Präsident des Europäischen Rats auf einen Sieg von Merkel und eine konservativ-liberale Regierung in Berlin gesetzt. Denn Gerhard Schröder leitete im Frühjahr gemeinsam mit Frankreichs Präsident Jacques Chirac nach dem »Nein« zur Europäischen Verfassung eine Kehrtwende in der Diskussion über die Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes für Dienstleistungen ein. Ein Kommissionsmitglied beschrieb Schröder und Chirac kurz vor der Bundestagswahl als »Blockademacht« in Europa. Barroso und Blair sahen deshalb in diesen Wahlen einen ersten Schritt zu einer strategischen neoliberalen Mehrheit in der EU. Der zweite Schritt sollte demnach mit den französischen Präsidentenwahlen 2007 und dem möglichen Sieg des Neoliberalen Nicolas Sarkozy erfolgen. Mit der so genannten Dienstleistungsrichtlinie sollen europaweit die Märkte für Dienstleistungen von Handwerkern, Ingenieuren oder Architekten für den freien Wettbewerb geöffnet werden. Gegner der Richtlinie befürchten Lohndumping und Arbeitsplatzverluste. Sarah Wagenknecht sieht in ihr den »Abbau öffentlicher Leistungen« und »den Durchmarsch neoliberaler Politik«. Ob der deutsche Bundeskanzler und der französische Staatspräsident die Dienstleistungsrichtlinie tatsächlich verhindern wollen, darf wohl bezweifelt werden. Möglicherweise denken sie an leichte Modifizierungen, um sie den eigenen Bürgern schmackhaft zu machen. Erhellend ist eine Äußerung des EU-Kommissionspräsidenten von letzter Woche: »Kein Staat hat vorgeschlagen, dass die Dienstleistungsrichtlinie zurückgezogen wird«, sagte Barroso.
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