Generation UV

Berufsschultour (IV): Die Unvermittelten

  • Lesedauer: 2 Min.
Unter dem Motto »solidarity reloaded« tourt die DGB-Jugend Berlin-Brandenburg den gesamten Herbst durch Berliner und Brandenburger Berufsschulen. Um Präsenz zu zeigen - und Jugendliche zur Artikulation ihrer Interessen zu motivieren. ND begleitet die Tour an dieser Stelle regelmäßig.
Bernau/Berlin (ND). Tino kommt aus Bernau. Er gehört zu den Zehntausenden Schulabgängern ohne Ausbildungsplatz. Wegen der Schulpflicht meldet er sich Anfang September in einem Oberstufenzentrum. Im Sekretariat macht er eine Verwandlung durch. Aus einem sommerbraunen Jugendlichen wird ein »UV«, ein »Unversorgter«, wie es im Jargon der Arbeitsagenturen heißt. Weil es so viele UVs gibt, werden sie auf mehrere UV-Klassen in der Schule aufgeteilt. Wie trostlos es da zugeht, weiß ein DGB-Teamer: »Das ist Beschäftigungstherapie. Die Lehrer sind genauso demotiviert wie die Schüler. Wer das durchsteht, muss ein dickes Fell haben.«
Politik und Wirtschaft favorisieren für die Eingliederung der UV in den Arbeitsmarkt das Rezept Disziplinierung durch Zwang. Zunächst müssen Jugendliche wie Tino damit rechnen, dass ihre Adresse bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) landet. Wenn Tino dann Post von der IHK erhält, muss er der Einladung zu einem »Nachvermittlungsgespräch« folgen. Sonst fliegt er aus der Bewerberstatistik. Dem »Ausbildungspakt« verdankt Tino außerdem einen »Kompetenzcheck«. Ist er überhaupt »ausbildungsfähig«? Da diese Checks von den IHKen mitorganisiert werden, wundert es nicht, dass die angeblich Unfähigen immer mehr werden. Der Berliner IHK-Chef Jan Eder hält weniger als die Hälfte der UV-Generation für ausbildungsfähig. Viel mehr als gute Worte gibt es bei dem an den Check anschließenden Vermittlungsgespräch in der Agentur nicht. Schon gar keinen Ausbildungsplatz.
Allenfalls erhalten Jugendliche bei dieser Gelegenheit Adressen von Betrieben, bei denen sie sich bewerben können. Zum Beispiel für eine »Einstiegsqualifizierung« - einjährige Betriebspraktika ohne Garantie auf einen Ausbildungsplatz. Die kümmerliche Vergütung zahlt der Staat. Vermittlung nach Gusto der Arbeitsagenturen kann aber auch heißen, dass Tino sein Berufsleben als Ein-Euro-Jobber beginnt. Seit Hartz IV müssen Jugendliche unter 25 jedes »Angebot« annehmen, bei Strafe fast kompletten Leistungsentzuges.
Die einzige gute Nachricht für Tino: er muss nicht lange in der UV-Klasse bleiben. Von seinem Berufswunsch Veranstaltungsmanager sollte er aber nicht mehr träumen. Jan Eder von der Berliner IHK droht: »Ausbildungsplatz geht vor Berufswunsch.«
Tino verlässt enttäuscht das Schulsekretariat. Später macht er seinem Ärger Luft. Nach 80 erfolglosen Bewerbungen verzweifelt er langsam und überlegt, ob er sein Glück nicht lieber woanders versuchen soll. Aber vielleicht ist das ja gerade der Sinn der Übung. Die Statistik jedenfalls wäre dann wieder einmal um einen »UV« ärmer.

www.berufsschultour.de
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