»Und hört auf, mich dauernd zu duzen«

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 2 Min.
Was muss man anlässlich der Zwischenbilanz einer Jubel-Kampagne vernehmen? Natürlich Jubel. Mit ihrer »Du bist Deutschland«-Propaganda hat die Wirtschaft offenbar genau den Nerv der Zeit getroffen. Und nerven, das tut die Gute-Laune-Werbung ohne Zweifel. Jeder Dritte Deutsche kennt das 30-Millionen-Spektakel bereits. Klar, dass die Veranstalter behaupten, die Hälfte davon fühle sich »positiv angesprochen«. Fragt sich nur, was positiv in diesem Zusammenhang heißt. Die »tageszeitung« jedenfalls hat Wortspiele mit dem »Du bist hmhmhm ...«-Claim schon vor ein paar Tagen in die Top-Drei-Tabus der gepflegten Kneipenunterhaltung aufgenommen. Weil man deshalb also lieber nicht beim Bier über die Kampagne spricht, hat sich die - wenn man es so nennen will - Diskussion ins Internet verlagert. Fazit nach einer Stunde surfen: Es hagelt Kritik, Kritik, Kritik. Die Organisatoren haben das natürlich alles vorher schon gewusst. »Mit dem negativen Feed-Back bei den Weblogs haben wir gerechnet«, sagt ein an der Kampagne beteiligter Werbefuzzi und weiß über die Blogger, dass die ja »immer destruktiv« seien. Was natürlich nicht stimmt. Erstens, weil noch die allerletzte Persiflage die echte Kampagne an Kreativität weit übertrifft. Zwotens, weil sich der Bekanntheitsgrad der »Du bist Deutschland«-Tümelei zum überwiegenden Teil aus genau jener trotzigen Reaktion darauf speist. (Hatte jemand wirklich Beifall erwartet?) Und drittens, weil es ziemlich normal ist, dass sinnfreie Sätze wie das »Du bist der Baum« von Anne Will nun einmal auf ein gewisses Unverständnis stoßen. Was wäre denn eine angemessene, konstruktive Reaktion, fragt sich dann auch besorgt ein Blogger - »kommentarlos fressen und schweigen? Dankesbriefe verfassen?« Nun ja, ein bisschen mehr Engagement sollte es schon sein, immerhin geht es ja bei dem ganzen Schabernack genau darum. Fleißig, nicht faul, waren inzwischen eine ganze Menge Leute. Auf den Seiten der Foto-Community »Flickr« findet sich die bislang umfangreichste Sammlung von Kommentaren - in Form von 175 selbst gestalteten Plakat-Beiträgen. Eine Anmerkung sei allerdings erlaubt: Aber auch wenn es stimmt, dieses »Du bist Erich Honecker« - die Mauer wurde bestimmt nicht auf Befehl des smarten Wiebelskirchners gebaut. Es hatte ja in der DDR, wie man weiß, niemand die Absicht, eine solche zu errichten. Wer gar keine Lust mehr auf die Mutmacher-Kampagne hat, kann sich übrigens einfach irgendeiner anderen gruppendynamischen Aktion anschließen. Etwa jener »Unmutmacher-Kampagne«, die aus dem »Du« ein »Ihr« macht und jene andere Hälfte der Deutschen meint, die 96,3 Prozent des Privatvermögens besitzt, während wir uns mit dem Rest vergnügen können. Und die mit dem Satz endet, der vielleicht die einzig richtige Antwort auf Bertelsmann und Co. sein kann: »Und hört auf, mich dauernd zu duzen.«
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