Einzelkämpfer für die Orang-Utans

Willie Smits setzt sich für den Erhalt des Regenwaldes ein

  • Uwe Witt, Kalimantan
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.

Ein holländischer Tierschützer kämpft in Indonesien mit Satellitenbildern, Leichtflugzeugen und Emissionszertifikaten für die letzten Orang-Utans.

Im Jahr 1989 fand der holländische Forstwissenschaftler Willie Smits in der indonesischen Stadt Balikpapan ein todkrankes Orang-Utan-Baby. Ein Tierverkäufer hatte es am Markt auf einen Abfallhaufen geworfen. Smits pflegte das Häufchen Elend wieder gesund. Weil es sich herumsprach, landeten bei ihm weitere junge Affen.
Mit Hilfe einer Spendensammel-aktion heimischer Schulkinder wurde 1991 aus dem Provisorium ein langfristiges und in seiner Dimension weltweit einzigartiges Programm zur Pflege und Auswilderung beschlagnahmter oder verletzter Orang-Utans. Für Smits waren die Primaten ursprünglich nur am Rande von Interesse. Als er Anfang der achtziger Jahre auf Borneo seine Doktorarbeit in tropischer Waldökologie schrieb, ging es um das Zusammenleben von Bäumen und Pilzen.

In das Land und in eine Indonesierin verliebt
Weil er sich dabei nicht nur in das Land, sondern auch in eine Indonesierin verliebte, schlug der Wissenschaftler auf der Insel Wurzeln. Ab 1985 arbeitete er in einer Forschungsstation bei Wanariset, die sich modernen Aufforstungstechniken widmete. Smits war rasch so anerkannt, dass ihn der Forstminister zum Berater bestellte. Einige indonesische Waldgesetze tragen seine Handschrift.
Leider lassen sich nicht übermäßig viele Holzfirmen oder Tierhändler von den Vorschriften beeindrucken. Etwa 80 Prozent der Urwaldriesen werden illegal gefällt. Die Edelhölzer gehören genauso zu profitablen Exportgütern krimineller Schmuggler wie Orang-Utans oder seltene Vögel. »Sogar Köpfe von Orang-Utans werden im Internet gehandelt und Affenpenisse als angeblich aphrodisierendes Mittel verkauft«, erzählt Smits. Die meisten Tiere fristen jedoch ein kümmerliches Dasein als angekettetes Haustier bei wohlhabenden Familien oder in Kneipen.
Vor allem Babys und Jungtiere mit runden Kulleraugen sind gefragt. Die klammern sich ans rote Fell ihrer Mütter, die hoch in den Bäumen leben. Wer an die Jungtiere will, muss Mütter abschießen. Beim Absturz werden oft auch die Jungen getötet. Manche Überlebende überstehen den Transport nicht. Man schätzt, dass für ein illegal gehandeltes Baby drei bis vier Orang-Utans sterben müssen.
Umweltschützern und Behörden gelingt es nur selten, gefangene Jungtiere zu beschlagnahmen. Dennoch waren es über die Jahre so viele, dass Willie Smits in Kalimantan ein zweites Rehabilitierungszentrum in Nyaru Menteng gründen musste. Beide Stationen werden von der Borneo Orangutan Survival Foundation (BOS) geführt, die ebenfalls Smits ins Leben rief. Derzeit macht BOS 600 Orang-Utans fit für die Auswilderung.
Und das ist nicht ganz einfach, denn normalerweise wird ein Junges sieben Jahre von der Mutter auf sein Affendasein vorbereitet. In den Zentren spielen deshalb rund 100 Frauen überwiegend aus dem Volk der Dajak, Ureinwohnern Borneos, Babysitter. »Von ihnen lernen die Orang-Utans wenigstens 100 der 500 Arten essbarer Früchte, Blätter, Rinden und Blüten kennen. Sie lernen auch, welche Pflanzen giftig und welche Bäume stark genug sind, um ihr Gewicht zu tragen«, erklärt Smits.
Über ein aufwendiges Klettertraining wird den jungen Orang-Utans beigebracht, sich mit möglichst wenig Kraft durch den Wald zu bewegen, ohne den gefährlichen Boden zu berühren. Dort warten aggressive Schweine und gelegentlich auch Tiger. »Am Ende sollen sie sich ein Nest bauen können und wissen, wie sie mit Bienen, Schlangen und Eiern umgehen müssen«, sagt der Tierschützer. Nach drei Jahren schließlich werden die Affen ausgewildert. Bei über 1000 ist das schon gelungen.
Einst bevölkerten Orang-Utans die Wälder von Java bis China. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Bestand auf 315 000 Tiere geschätzt, heute leben auf Teilen der Inseln Borneo und Sumatra gerade noch 50 000 Exemplare - Tendenz weiter fallend. Neben den Fängen und der Jagd ist dafür auch die Vernichtung des Lebensraumes verantwortlich. Selbst wenn große Konzerne Bäume mit Lizenz fällen, schaffen sie Schneisen, die anschließend Jäger und Bauern nutzen. Sind die Böden ausgelaugt, breitet sich nährstoffzehrendes Alang-Alang-Gras aus.
Geht die Entwicklung so weiter, wird es laut Smits in ein bis zwei Jahrzehnten keine frei lebenden Orang-Utans mehr geben. Der 48-Jährige kämpft daher an verschiedenen Fronten. So hat BOS von Indonesiens Regierung im Mawas-Gebiet Zentralkalimantans für rund 500 000 Hektar ein »vorläufiges Verwaltungsrecht« erhalten. Der seltene Torfregenwald gehört weltweit zu den letzten Lebensräumen für Orang-Utans. In ihm leben zirka 4000.
Für die dauerhafte Einrichtung eines Nationalparks gibt es allerdings zwei Bedingungen: Zum einen soll BOS für Indonesien einen Erlass von 100 Millionen Euro Schulden einfädeln. Das ungewöhnliche Geschäft nennt sich »Debt for Nature Swap« und wird auch von der Weltbank befürwortet, weil es beispielhaft für andere Naturschutzgebiete sein könnte. Nunmehr ist der Holländer auf der Suche nach Ländern, die auf entsprechende Forderungen verzichten. Erfolgversprechende Gespräche fanden mit Regierungsvertretern in Den Haag und Berlin statt.
Zweite Bedingung: Die Betriebskosten sollen über Treibhausgaszertifikate finanziert werden, denn Waldschutz ist Klimaschutz. So sind in der 13 Meter mächtigen Torfschicht des sumpfigen Tiefland-Regenwalds über neun Milliarden Tonnen Kohlendioxid festgelegt. Das entspricht etwa dem Zehnfachen dessen, was die Bundesrepublik in einem Jahr in die Luft bläst. »Sollte auch dieser Wald vernichtet werden, wird sich ein Großteil des Torfes in Treibhausgase verwandeln«, erklärt Smits. Zudem sei die Torfschicht eine aktive CO2-Senke. Da sie jährlich um zwei Millimeter wächst, würden über eine Million Tonnen Kohlendioxid pro Jahr zusätzlich gebunden, rechnet der Holländer vor.

Umweltüberwachung aus orbitaler Bahn
Und genau für dieses Volumen möchte BOS Klimagaszertifikate verkaufen. Die Papiere sind bislang zwar gemäß Kyoto-Protokoll nicht handelsfähig. Firmen und Privatpersonen könnten aber mit dem Kauf der Papiere ihr Image aufpolieren. Mit einem international tätigen Konzern wurde schon ein Vertrag unterschrieben.
Die BOS-eigene Firma SarVision überwacht wichtige Waldgebiete Kalimantans mit Hilfe von Bildern, die vom Sateliten IKONOS bezogen werden. Um Veränderungen festzustellen, gibt es zudem regelmäßige Patrouillen mit Ultraleichtflugzeugen. »So lässt sich sogar der Verlust von nur einem Baum feststellen.« Die moderne Technik soll auch seinem neuesten Projekt zu Gute kommen: Im Schutzgebiet Samboja-Lestari nahe der Station Wanariset wird seit drei Jahren auf einer Fläche von 1700 Hektar abgeholzter Regenwald aufgeforstet. Die ersten 300 000 Bäume sind schon angepflanzt. Das Gebiet soll im ersten Schritt eine Zuflucht für 50 kranke Orang-Utans bieten, die nicht wieder ausgewildert werden können. Das sind Tiere mit chronischer Hepatitis, Affen, die blind sind oder denen Gliedmaßen abgehackt wurden. Auch andere gefährdete Arten, wie der Malaienbär, finden Zuflucht. Sollte sich die Abholzung fortsetzen, könnte eine Arche Noah für rund 1000 Orang-Utans entstehen, so Smits. Die Anzahl würde ausreichen, um die Art für bessere Zeiten ohne genetische Schäden »überwintern« zu lassen.
Das Projekt wird durch die lokale Bevölkerung ausgeführt. Jede Familie erhält in der Pufferzone von BOS 3300 Quadratmeter mit feuerresistenten Zuckerpalmen, die die jungen Bäume vor Bränden schützen, und kann diese kostenlos bewirtschaften. Rund 650 Familien werden ein permanentes Einkommen erhalten. Sie verdienen mit den Palmen mehr als beim Holzdiebstahl. Sollte ein Baum illegal gefällt werden, verlieren alle Familien Vorteile, bis der Täter zur Verantwortung gezogen wird. »Wir wollen keine Polizisten sein, deshalb setzen wir auf soziale Kontrolle«, erklärt Smits.
Dem Vater von drei Kindern scheinen weder Energie noch Ideen auszugehen. Dass er tatsächlich Erfolg hat, dürfte aber auch daran liegen, dass in Smits über die Jahre der heißblütige Wissenschaftler mit dem kühlen Projektmanager und charmanten PR-Agenten verschmolzen ist. »Willie ist im gutem Sinn professionell«, meint der Chef der Deutschland-Organisation von BOS, Boris Thiemig. »Er will seine Vision zielstrebig durchsetzen. Trotzdem ist er meist ein freundlicher Mensch.« Smits könne aber auch sehr nachdrücklich werden, fügt der Berliner hinzu.
Das Multitalent hat mit seinem Kampf gegen die Ausrottung der letzten Orang-Utans nicht nur seine Bestimmung, sondern auch eine neue Heimat gefunden. Seit letztem Jahr ist er indonesischer Staatsbürger. Und das, obwohl er vom holländischen Königshaus 1995 aufgr...

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