nd-aktuell.de / 04.10.2012 / Politik / Seite 7

Vor leeren Stühlen die Geschichte beschworen

Der Vertreter Palästinas hatte es im UNO-Plenum schwer, seinem Anliegen Gehör zu verschaffen

Oliver Eberhardt
Syrien und Iran waren die bestimmenden Themen der Reden vor der 67. Vollversammlung der Vereinten Nationen; der palästinensisch-israelische Konflikt fand dieses Mal nur am Rande statt. Und dennoch lassen die wenigen Äußerungen der Redner tief blicken: Die Weltgemeinschaft weiß auch nicht, wie es weiter gehen soll.

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas bemühte sich um deutliche Worte. »Die israelische Regierung will dem palästinensischen Volk eine neue Naqba zufügen«, sagte er in seiner Rede vor dem UNO-Plenum und wiederholte dreimal »Naqba«, das arabische Wort für Katastrophe, mit dem die Palästinenser jenen Krieg 1948/49 bezeichnen, der für Israelis der »Unabhängigkeitskrieg« ist. Im Saal blieben während der Rede viele Stühle, auch von arabischen Delegationen, leer. Man nutze, so ein westlicher Diplomat, die Gelegenheit lieber, um hinter den Kulissen Formeln für den Umgang mit Syrien und Iran zu finden: »Die Palästinenser haben in diesem Jahr leider keine Priorität hier.«

Was sich auch in den Reden der Staats- oder Regierungschefs ausdrückte: Nur wenige sagten überhaupt etwas zum israelisch-palästinensischen Konflikt, und wenn, dann wurde die Frage nach der Zukunft meist umschifft. Wirklich deutliche Worte fand nur Ägyptens Präsident Mohammed Mursi.

Es sei eine Schande, so der religiös-konservative Politiker, dass die Resolutionen der UNO zum israelisch-palästinensischen Konflikt nicht durchgesetzt würden: »Die Früchte der Würde und der Freiheit dürfen dem palästinensischen Volk nicht vorenthalten werden.« Die UN müssten daher den Palästinensern Mitgliedschaft gewähren, »mit einem oder ohne einen Friedensvertrag mit Israel«.

Ägyptische Medien werteten diese Äußerungen allerdings als Signal an Israel in einer anderen Frage: Mursi möchte vor dem Hintergrund der Sicherheitslage auf der Sinai-Halbinsel gerne mit Israel über offizielle Änderungen am Friedensvertrag zwischen den beiden Ländern sprechen; Israel lehnt dies ab und pocht auf den Camp-David-Vertrag in seiner jetzigen Form - worauf Mursi bereits in einem Interview gekontert hatte, dass der Vertrag dann auch vollständig und von beiden Seiten eingehalten werden müsse. Mit dem Vertrag war 1978 auch ein Zusatzprotokoll unterzeichnet worden war, in dem den Palästinensern Eigenständigkeit zugesichert worden war. Dieser Teil des Vertrages wurde von Israel nie umgesetzt.

Die meisten anderen Redner aus der arabischen Welt schlossen sich an. Der Tenor stets: Die Zeit sei gekommen, aus Palästina einen Staat zu machen, erklärten die, welche die Palästinenser überhaupt erwähnten, mit Blick auf den angekündigten Antrag der Palästinenser, von den Vereinten Nationen zum Staat ohne Mitgliedsstatus aufgewertet zu werden. »65 Jahre lang war das palästinensische Volk vom Versprechen der Vereinten Nationen ausgenommen«, sagte Jordaniens König Abdullah II. und forderte, beide Seiten müssten an den Verhandlungstisch zurück kehren. Die Vertreter westlicher Regierungen gingen derweil nur selten auf die Palästinenserfrage ein.

So streifte Bundesaußenminister Guido Westerwelle das Thema nur am Rand. Die »Herausforderungen« des iranischen Atomprogramms dürften nicht dazu führen, dass die Notwendigkeit eines Friedensvertrages zwischen Israel und den Palästinensern aus den Augen verloren wird. US-Präsident Barack Obama, dem im Präsidentschaftswahlkampf vorgeworfen wird, Israel zu kritisch gegenüberzustehen, ging ebenfalls nur knapp auf die Thematik ein. Er rief dazu auf, »jene zurückzulassen, die im Konflikt Wurzeln schlagen, jene, die Israel das Existenzrecht absprechen«. Der Weg sei lang, aber das Ziel klar: »Ein sicherer jüdischer Staat Israel und ein unabhängiger, florierender Staat Palästina.«