Uni ohne Arbeiterkinder?

Andreas Kemper vertritt studierende »Arbeiterkinder« an der Uni Münster

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Sie gehören zu den Initiatoren des deutschlandweit bislang einmaligen Referats »Arbeiterkinder« an der Universität Münster. Der AStA der Uni wollte das Referat nach rund zehn Jahren Existenz jetzt rechtlich und sozial absichern. Ein entsprechender Beschluss des Studentenparlamentes wurde von der Unileitung aber gekippt. Wie erklären Sie sich diese Ablehnung?
Kemper: Dass sich das Rektorat kaum Gedanken über studierende Arbeiterkinder macht, hat historische Gründe. So gab es bis in die späten 1960er Jahre hinein an der Uniklinik Münster Dekane, die in der Nazizeit an Zwangssterilisierungen von Arbeiterkindern beteiligt waren. Der bekannteste Fall ist der Doktorvater von Mengele, Otmar von Verschuer, der bereits als Freikorps-Adjutant nach dem Ersten Weltkrieg an standrechtlichen Erschießungen von aufständischen Arbeitern beteiligt war.

Gibt es noch andere Beispiele für diese Ignoranz gegenüber den Belangen studierender Arbeiterkinder?
Ja, die Uni Münster setzt eine Kann-Bestimmung nicht um, die es Kindern aus der Arbeiterschicht erleichtert, ein Deutschland-Stipendium zu erhalten. Ein anderer Fall: Vor zehn Jahren beauftragte das Rektorat das Hochschul-Informations-System HIS mit einer Erhebung über die Bedürfnisse und Probleme der Studierenden der Uni. Bei der Auswertung wurde allerdings darauf verzichtet, die soziale Herkunft auszuwerten.

Welche Schwerpunkte hat das Referat »Arbeiterkinder« in seiner Arbeit?
Das Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende (Fikus), so die offizielle Bezeichnung, soll die Situation von Arbeiterkindern im Bildungssystem und explizit an den Hochschulen verbessern. Wir verstehen dies in erster Linie als bildungspolitischen Auftrag. Das Referat ist kein Service-Referat. Es findet zwar auch Beratung und direkte Unterstützung statt, aber in erster Linie geht es darum, die Ursachen von Bildungsbarrieren zu ermitteln und zu bekämpfen. Daher haben wir in den letzten zehn Jahren über einhundert Veranstaltungen mit Bildungsforschern und fünf Tagungen mitorganisiert.

Also nicht nur Service, sondern auch Politik?
Ja, zur Arbeit des Fikus-Referats gehört die Zusammenarbeit mit Leuten, die Stadtteilbibliotheken in ressourcenarmen Stadtteilen retten wollen. Wir waren engagiert gegen Studiengebühren und in Initiativen, die das Latinum als Voraussetzung für die Zulassung zu bestimmten Studienfächern abschaffen wollen. Und wir sehen unsere Aufgabe darin, Arbeiterkinder im Bildungsbereich zu organisieren und zu vernetzen. Wir arbeiten z.B. mit entsprechenden Organisationen in Wien und in den USA zusammen. Uns ist vor allem wichtig, dass soziale Herkunft als Diskriminierungsgrund anerkannt wird.

Wie soll es nach der Ablehnung durch die Unileitung weitergehen?
Am 16. Oktober wird auf einer Vollversammlung der studierenden Arbeiterkinder das weitere Vorgehen beschlossen. Das Rektorat musste zudem bereits dem NRW-Bildungsministerium und der Gleichstellungsbeauftragten erläutern, warum die Satzungsänderung abgelehnt wurde.

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