nd-aktuell.de / 18.10.2012 / Politik / Seite 3

China tut viel mehr fürs Klima als wir

Der Ökonom Jørgen Randers über seinen Report »2052. Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre«

Jørgen Randers (67) ist Professor für Klimastrategie an der Norwegischen Schule für Management. Bis zum Jahre 2006 war er Klimaberater der norwegischen Regierung. Randers gehörte bereits 1972 zu den Autoren des ersten Berichts an den Club of Rome »Die Grenzen des Wachstums«. Diese nichtstaatliche Organisation bafasst sich seit 1968 mit Zukunftsfragen der Menschheit. Karin Deckenbach sprach mit Prof. Randers über den von ihm herausgegebenen jüngsten Bericht an den Club of Rome, der gerade auf Deutsch unter dem Titel »2052. Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre« im oekom-Verlag erschienen ist (www.bericht-2052.de).

nd: Professor Randers, können wir nach der Lektüre Ihrer Prognose für die nächsten 40 Jahre nur noch weinen über unsere schreckliche Dummheit und den baldigen Weltuntergang?
Randers: Wir müssen weinen. Aber es gibt auch etwas Hoffnung, noch. Mein Buch berechnet die Resultate dessen, was wir jetzt tun. Und unter dem Strich steht: Es ist nicht genug. Weil wir damit die Erderwärmung nicht auf zwei Grad Celsius begrenzen können. Und das würde dramatische Folgen für alles Leben auf der Erde haben.

Aber es gibt doch jetzt einen weltweiten Boom für erneuerbare Energien. Ist das nicht eine fundamentale Veränderung, die doch nicht zu spät kommt?
Ja, wir tun jetzt viel. Aber ich habe diese Dynamik der Umstellung auf erneuerbare Energien ein- und hochgerechnet, und es ist nicht genug. Wissen Sie, ich habe das Buch geschrieben, weil ich mich gefragt habe: Wieviele Sorgen muss ich für die letzten 20 Jahre meines Lebens machen? Und als ich das alles berechnet habe, war das traurige Ergebnis: Es ist genug, um das Bevölkerungsproblem in den Griff zu bekommen. Es ist genug, das Ressourcenproblem zu lösen. Aber es ist nicht genug, um den Klimawandel zu begrenzen.Weil die globalen Treibhausgasemissionen bis 2030 weiterwachsen werden, erst dann gehen sie allmählich zurück. Das heißt, im Jahr 2050 werden sie ziemlich genau so hoch sein wie heute.

Und dieser Anstieg kann nicht durch den starken Ausbau der erneuerbaren Energiequellen kompensiert werden?
Nein. Mit diesem Ausbau werden wir etwa die Hälfte des Problems lösen. Das heißt, wir müssten all diese Anstrengungen noch mal verdoppeln. Und das Traurige ist: Wir könnten es tun. Ich war Leiter einer norwegischen Kommission, die berechnet hat, wie wir unsere Treibhausgasemissionen bis 2050 um 60 Prozent reduzieren können. Das ist mit der heute vorhandenen Technik möglich.

Aber auch in Deutschland werden die Kosten der Energiewende jetzt schon heiß diskutiert. Wie sollten wir das Doppelte der bereits von der EU beschlossenen Reduzierungen in so kurzer Zeit schaffen?
Das ginge ganz leicht. Wenn wir wirklich wollten. Wir, die reichen Länder und Leute, müssten nur etwas mehr Steuern zahlen. Etwa zwei bis vier Prozentpunkte mehr, für doppelt so viele Windräder und Solaranlagen, für gedämmte Häuser, sparsame Autos, neue Speicher und intelligente Netze. Weltweit würde das etwa ein Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts kosten. Und das Problem wäre kein Problem mehr. Aber es wird wohl nicht passieren. Denn demokratische Gesellschaften entscheiden sich nicht für höhere Steuern, sie entscheiden sich gegen teureres Benzin und steigende Strompreise.

Also brauchen wir nachhaltige Diktaturen?
Ja und nein. Ja, wir könnten es besser machen. Aber demokratische Marktwirtschaften werden sich nicht dafür entscheiden. Nein, niemand will Öko-Diktaturen. Der einfachste Weg wäre, wenn wir uns alle auf ein Post-Kyoto-Abkommen verständigen, mit einem Preis von 40 Euro pro Tonne Kohlendioxidausstoß. Dann braucht das kapitalistische System 20 Jahre, um das Problem zu lösen. Aber wir wissen alle, siehe oben, dass das nicht passieren wird.

Aber wir sind doch schon so viel energieeffizienter geworden und so viel Wirtschaftswachstum speist sich aus Erneuerbaren.
Ja, unsere Energieeffizienz ist dramatisch gewachsen, und in meinem Buch gehe ich davon aus, dass wir diese heroischen Anstrengungen in den nächsten 40 Jahren fortsetzen. Aber wir starten mit acht Prozent erneuerbaren Energien jetzt und ich gehe davon aus, dass sie 2052 weltweit rund 40 Prozent ausmachen. Sind bis dahin 100 Prozent erneuerbare Energien möglich? Ja. Aber es würde doppelt so viel kosten. Und der Kapitalismus steckt freiwillig kein Geld in dieses Ziel, weil es viel teurer wäre.

Also ist der Kapitalismus und eine nachhaltige Wirtschaft ein Widerspruch in sich?
Nicht per se. Aber für den Übergang von einer Wachstumsgesellschaft in eine nachhaltige Gesellschaft muss man viel Geld in teure Lösungen investieren. Der Kapitalismus ist dafür gemacht, Geld in das profitabelste Projekt mit der billigsten Lösung für ein Problem zu stecken. Also warum sollte er in Windräder und Solaranlagen investieren, wenn Kohlekraftwerke günstiger sind?

Man muss halt dafür sorgen, dass Erneuerbare profitabel werden.
Das ist der Punkt. Wir brauchen Investitionen in teure Projekte. Und der einzige Weg dafür sind Subventionen - oder Verbote. Anreize für Solarparks. Verbote für Atomkraft und Kohlekraftwerke. Dann fließt das Geld in Erneuerbare. In der Theorie sind diese Bedingungen sehr einfach herzustellen. Aber das Problem ist die Praxis. Deutschland erlebt ja gerade, wie die fossilen Konzerne dagegen ankämpfen und auch viele andere gesellschaftliche Kräfte, wie die Gewerkschaften, in diesem Verteilungskampf mitmischen. Denn der Übergang bedeutet teureres Benzin, teureren Strom, höhere Kosten, bis man im nachhaltigen Himmel angelangt ist.

Weil in der Übergangsperiode alle subventioniert werden wollen - die Fossilen wie die Erneuerbaren?
Ja. Und das Tempo ist nicht hoch genug. Könnte es schneller sein? Ja. Wird sich die Welt darauf einigen? Hoffentlich. Aber ich glaube es nicht.

Eine neue Qualität könnte den Druck erhöhen: der Enthusiasmus der Bürger. Ein wesentlicher Teil der deutschen Energiewende wird getragen von Bürgern, den Kommunen, von Genossenschaften.
Absolut richtig. Und das muss unterstützt werden. Die Dänen beispielsweise haben entschieden, dass den Bürgern die Windparks gehören - damit haben sie auch der Opposition eine Menge Wind aus den Segeln genommen. Denn man kämpft nicht gegen etwas, das einem gehört. Das ist ein wunderbares Modell von Kapitalismus. Aber ich fürchte, es ist nicht stark genug. Hoffen wir, dass ich damit falsch liege.

Was würden Sie auf der Basis Ihrer Erkenntnisse etwa der indischen Regierung sagen oder dem chinesischen Bauern, um den Kollaps der Erde zu verhindern?
Nichts. Ich spreche nur zu den Reichen. Weil die Armen das einzig Sinnvolle tun: Sie versuchen reich zu werden. Und das sollen und müssen sie weiter tun. Wir, die Reichen, hätten sie dabei schon längst unterstützen müssen, etwa durch Entwicklungshilfe für den Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung und Landwirtschaft. Aber grundsätzlich liegt die Lösung in unserem Teil der Welt. Wir produzieren die allermeisten Treibhausgase, verbrauchen die allermeiste Energie - jedenfalls pro Kopf. Fünfmal mehr als jeder Chinese.

Und Tatsache ist, dass die chinesische Regierung viel mehr gegen den Klimawandel tut als alle Industriestaaten. Wenn in 2050 die Weltgeschichte geschrieben wird, werden Historiker feststellen, dass die Chinesen das Problem gelöst haben. Sie werden die Elektro-Autos produzieren, sie werden die Windräder und Solaranlagen installieren, sie haben jetzt schon in ihrem jüngsten Fünf-Jahres-Plan festgeschrieben, dass ihre Energieeffizienz bis 2020 um 40 Prozent wachsen muss. Das ist ein großes Ding. Denn sie wissen, dass der Klimawandel China vielmehr schädigen wird als etwa Deutschland.

Das ist der Grund, warum ich nur auf die Reichen mit dem Finger zeige. Ich bin für die Ein-Kind-Politik in den Industriestaaten. Wir, die Reichen, sollten nur ein Kind haben. Denn meine Tochter ist das gefährlichste Wesen auf dem ganzen Planeten. Sie konsumiert 10- bis 40-mal so viele Ressourcen wie ein indisches Kind.

Was also empfehlen Sie Ihrer Tochter, und ich meiner, für deren Lebenstil?
Erster Punkt: Unterstütze eine starke Regierung! Das ist das Wichtigste. Auf nationaler wie internationaler Ebene. Weil alle individuellen, freiwilligen Anstrengungen das Problem nicht lösen werden. Zweiter Punkt: Jeder, der dazu auch individuell etwas beitragen will, soll das tun. Diesen Leuten sage ich: Es gibt drei Dinge, mit denen Du das Klima schädigst. Dein Auto. Dein Haus. Deine Ferien, vor allem mit dem Flieger. Also: Kauf ein Auto, das 30 Prozent weniger Sprit braucht, und das alle zehn Jahre! Dämm das Haus und bau neue Fenster ein, auch wenn es sich im herkömmlichen Sinn nicht rechnet! Und statt zweimal eine Woche auf die Kanaren, flieg nur einmal im Jahr für zwei Wochen - macht 50 Prozent weniger. Ja, wenn alle das alles machen, ist das Problem verschwunden. Aber das ist noch weniger realistisch, als dass 192 Länder sich auf eine Post-Kyoto-Vereinbarung einigen. Dabei wäre beides so einfach: ein Vertrag, wonach die reichen Länder ihr Mögliches tun, und die armen Ländern nichts tun, bis ihre Pro-Kopf-Emissionen auf demselben Niveau sind wie die der Reichen.

Die armen Länder sollen einfach gar nichts tun?
Ja. Das ist mein Vorschlag seit fünf Jahren. Natürlich werde ich bei den internationalen Klimaverhandlungen dafür ausgelacht. Klar, es ist ein zutiefst moralischer, ethisch korrekter Blick. Dass wir am Ende in einer Welt leben, in der alle Emissionen von allen Menschen pro Kopf gleich sind. Jetzt starten wir in einer Welt, in der ein Amerikaner jährlich durchschnittlich 18 Tonnen CO2 produziert, ein Norweger 14, ein Deutscher 11 Tonnen - und ein Chinese 3 Tonnen und ein Inder weniger als eine Tonne. Der Punkt ist: Wir dürfen alle nur 2 Tonnen CO2 pro Kopf produzieren. Das ist das, was die Welt aushalten kann.

Aber wie soll das funktionieren?
Die logische Struktur dafür beschreibe ich in dem Buch. Sie basiert auch darauf, dass es in Zukunft nach meinen Berechnungen viel weniger Wirtschaftswachstum geben wird, als die meisten Theorien annehmen. Anders als meine Alarmisten-Kollegen schon seit den 70er Jahren warnen, wird es nach meinen Kalkulationen keine Landknappheit geben und auch keinen Rohstoffkampf um Lithium oder anderes. Hunger ist eine reine Verteilungsfrage.

Also sind Sie doch kein Weltuntergangsprophet?
Ich finde es vor allem völlig unfair, wenn reiche Leute wie ich und andere darüber reden, was die fünf oder sechs Milliarden anderen Leute gegen den Klimawandel tun sollen. Darüber sollte man überhaupt nicht reden, außer über einen einzigen Punkt: Die armen Länder verpflichten sich, niemals mehr Treibhausgase pro Kopf zu produzieren als die Reichen.

Für diesen Vorschlag habe ich auch auf der sinnlosen Rio-plus-20-Konferenz hart gekämpft: Lasst uns alle einen Vertrag mit einem Satz schließen. Der Satz lautet: »Hiermit verpflichten wir uns, pro Person niemals mehr Treibhausgase auszustoßen als die Vereinigten Staaten von Amerika.« Oder die EU, oder die OECD-Staaten. Das ist alles, was es braucht. Ein großer Durchbruch - mit den Fingern in die richtige Richtung. Und alle hätten unterschreiben können, außer den USA.

Die EU versucht ja wenigstens etwas und hat ja auch eine zumindest etwas bessere supranationale Regierung als die USA. Aber so ist es nicht genug. Und deshalb ist mein Buch vielleicht sogar noch pessimistischer als »Die Grenzen des Wachstums« von 1972. Damals waren wir Wissenschaftler jung und dachten, okay, wenn wir ein paar vernünftige Ideen vorschlagen, wird die Menschheit sagen: Ja, gut, wir machen es. Heute sage ich, wir werden keine kluge Politik umsetzen, weil unsere Regierungssysteme falsch entscheiden werden.