Dürfen private Chatprotokolle auf dem Arbeitsplatzrechner als Beweis genutzt werden?

Streit um außerordentliche Kündigung

  • Lesedauer: 4 Min.
Stützt sich der Arbeitgeber zum Nachweis des Vorwurfs, der Arbeitnehmer habe ein gegen ihn gerichtetes Vermögensdelikt begangen, auf den Inhalt von Chatprotokollen, die auf dem Arbeitsplatzrechner des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung vorgefunden wurden, so unterliegen diese Protokolle keinem Beweisverbot. Bei deren Nutzung handelt es sich auch nicht um ein Nachschieben von Kündigungsgründen, zu denen der Betriebsrat vorher angehört werden muss.

Das geht aus einem am 10. Juli 2012 gefällten Urteil des Landesarbeitsgericht Hamm (Az. 14 Sa 1711/10) hervor, womit die außerordentliche Kündigung der Vorinstanz (Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 14. September 2010, Az. 5 Ca 1055/09) im Wesentlichen bestätigt worden ist.

Arbeitgeber darf private PC-Nutzung überwachen

In dem langwierigen Fall ging es darum, dass die auf einem Arbeitsplatzrechner vorgefundenen abgespeicherten Chatprotokolle keinem Beweisverwertungsverbot unterliegen, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern lediglich eine gelegentliche private Nutzung elektronischer Ressourcen gestattet und zugleich darauf hinweist, dass bei einer Abwicklung persönlicher Angelegenheiten auf elektronischen Geräten der Arbeitnehmer keine Vertraulichkeit erwarten darf. Der Arbeitgeber kann und darf die Nutzung überwachen und bei gegebener Notwendigkeit die Daten einsehen, die der Mitarbeiter anlegt oder mit anderen austauscht.

Der Sachverhalt: Der 1963 geborene Arbeitnehmer, der gegen seine Kündigung klagte, war seit 1989 als Netzwerkingenieur bei der Beklagten, einem Armaturenhersteller, beschäftigt. Die Beklagte sprach gegenüber dem Kläger am 13. März 2009 und 20. März 2009 jeweils eine außerordentliche, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum nächstmöglichen Termin aus.

Bei beiden Kündigungen stützte sich die Beklagte auf dieselben Kündigungssachverhalte. Zum einen wirft sie dem Kläger vor, Armaturen vom Typ Rainshower über die Internetplattform eBay veräußert zu haben. Zum anderen habe er Produkte aus dem aktuellen Sortiment der Beklagten an Mitarbeiter im Betrieb verkauft. In beiden Fällen habe der Verkaufspreis zum Teil weit unter dem offiziellen Verkaufspreis für Endkunden und auch unter dem Preis des Mitarbeiterverkaufs gelegen. So wurde beispielsweise die Armatur des Typs Rainshower vom Kläger für rund 419 Euro verkauft (Neupreis rund 1367 Euro). Daraus ergab sich für die Beklagte, dass der Kläger die verkauften Waren entweder gestohlen, unterschlagen oder gehehlt habe.

Die Beklagte stützte ihre Kündigungen sowohl auf den Vorwurf der Tatbegehung als auch auf einen entsprechenden Verdacht. Zum Nachweis berief sie sich unter anderem auf Protokolle von Chats über Skype (Chatprotokolle genannt), die auf einem vom Kläger genutzten Rechner vorgefunden worden waren. Der Kläger bestritt zunächst alle Vorwürfe. Eine Manipulation am Computer des Klägers, so ergab die Gerichtsverhandlung, schied aus.

Die Nutzung unternehmenseigener PCs, Server und Großrechner ist in der Organisationsrichtlinie Nr. 184/1 vom 15. September 2002 dahingehend geregelt, dass die private Nutzung ausnahmslos verboten ist. Der dem Kläger am 25. Juli 2007 übergebene Unternehmenskodex erlaubte dagegen in einer Ergänzung dieser Richtlinie die gelegentliche oder vereinzelte private Nutzung.

Die Beklagte sprach dem Kläger daraufhin die erste Kündigung wegen geschäftsschädigenden Verhaltens aus. Nach einer Anhörung des Betriebsrats wurde dem Kläger am 20. März 2009 die zweite fristlose Kündigung ausgehändigt.

Kein Verwertungsverbot rechtswidrig erlangter Infos

Das Gericht stellte fest: Ein generelles Verwertungsverbot rechtswidrig erlangter Informationen und Beweismittel ist auch in der Zivilprozessordnung nicht enthalten. Ein prozessuales Verwertungsverbot kommt danach nur in Betracht, wenn in die verfassungsrechtlich geschützten Grundpositionen des Klägers eingegriffen worden ist, seine Einwilligung nicht vorliegt und durch die Verwertung von rechtswidrig erlangten Informationen oder Beweismitteln ein erneuter Eingriff in seine rechtlich geschützten, hochrangigen Positionen erfolgt und dies auch nicht durch schutzwürdige Interessen der Beklagten gerechtfertigt werden kann (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Dezember 2012, 2 AZR 485/08).

Die Auswertung der vorhandenen persönlichen Daten auf dem vom Kläger genutzten Rechner stellt zwar grundsätzlich einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar, so hob das Gericht hervor und ergänzte dazu, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers jedoch nicht schrankenlos gewährleistet ist. Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers können durch die Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers - wie in diesem Fall - gerechtfertigt sein.

Um die Wahrheit zu ermitteln, sind die Gerichte gehalten, die von den Parteien in den Prozess eingeführten und angebotenen Beweismittel zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für eine Verwertung der Chatprotokolle gegeben, zumal gegen den Kläger der Verdacht einer Straftat bestanden habe.

Anhörung des Betriebsrates vor Kündigung nach BetrVG

Zudem stellte das Gericht nachdrücklich fest: Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG § 102 Abs. 2) ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören und ihm die Kündigungsgründe mitzuteilen.

Im Streitfall war eine Anhörung des Betriebsrates vor Ausspruch der ersten Kündigung vom 13. März 2009 umstritten und nicht eindeutig festzustellen. Hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung vom 20. März 2009 war der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden, woraufhin die Beklagte die Kündigung auch erst nach Erhalt der Stellungsnahme des Betriebsrates ausgesprochen habe.

Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei der Nutzung der Chatprotokolle nicht um ein Nachschieben von Kündigungsgründen, zu dem der Betriebsrat zuvor hätte angehört werden müssen. Dies ist für Beweismittel, für welche das Gericht die Chatprotokolle hält, nicht erforderlich. Es wird weder ein neuer Kündigungssachverhalt durch die Chatprotokolle begründet noch gewinnt der strittige Kündigungsstreit erst dadurch das Gewicht eines Kündigungsgrundes.

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