nd-aktuell.de / 29.10.2012 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Arzneimitteltests könnten gefährlicher werden

Politiker und Wissenschaftler lehnen pharmafreundlichen EU-Vorschlag zur klinischen Prüfung von Medikamenten ab

Harald Neuber
Eine Initiative der Europäischen Kommission zur Vereinfachung der Arzneimittelforschung ist in Deutschland auf weitreichende Ablehnung gestoßen.

Auch wenn Bundesregierung und EU-Kommission generell eine industriefreundliche Haltung teilen, scheinen die Bedenken in Berlin gegen die neue EU-Verordnung »über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln« groß. Sie zielt auf die Abschaffung der derzeitigen wissenschaftsethischen Kontrolle von Arzneimitteltests. Zwei Jahre lang soll diskutiert werden, ehe sie 2016 in Kraft treten soll.

Nicht nur in Deutschland müssen Pharmakonzerne bislang das Votum von Ethikkommissionen abwarten, bevor sie ihre Mittel in sogenannten Phase-I bis -III-Studien an Menschen testen. In der Verordnung anonymer EU-Bürokraten kommen die Begriffe »Ethik« oder »Ethikkommission« aber nicht einmal mehr vor. Mehrere Mitglieder des Gesundheitsausschusses im Bundestag äußerten daraufhin Bedenken. Offiziell hatte das Gremium inhaltlich aber nicht über den Entwurf der neuen EU-Studienverordnung beraten. Erst wenn die EU eine Entscheidung treffe, werde man sich inhaltlich mit dem Papier befassen, hieß es aus dem Büro des EU-Berichterstatters der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss, Stephan Stracke. Allerdings sei der Ausschuss schon jetzt »von vielen Seiten auf die Bedenken angesprochen worden«. Auch der Bundesrat sieht Nachbesserungsbedarf. Die Länderkammer forderte die Bundesregierung vor kurzem auf, den grundrechtlich gebotenen Schutz von Probandinnen und Probanden in dem EU-Regelwerk weiter fortzuschreiben. Dies gelte insbesondere für »ausreichende Berücksichtigung der nationalen Ethikkommissionen und bei der Einbeziehung nicht einwilligungsfähiger Patienten«. Zahlreiche Experten hatten darauf hingewiesen, dass nach dem EU-Entwurf vor allem Medikamententests an Kindern - unter Umständen auch ohne Einbezug der gesetzlichen Vertreter - vereinfacht würden.

In der ersten Stellungnahme formulierte der Bundesrat insgesamt 14 Einwendungen. So solle die Bundesregierung darauf achten, dass auch bei der Ausgliederung von Studienteilen an Drittinstitutionen die strengen Regeln für klinische Prüfungen weiterhin bestehen. Die Fristen zur Kontrolle durch Ethikkommissionen und vergleichbarer Gremien müsse »zumindest verdoppelt werden«.

Die Linksfraktion im Bundestag drängt indes auch auf eine Ausweitung der Debatte auf Pharmateste in den Ländern der sogenannten Dritten Welt. In einer Kleinen Anfrage hatte die Fraktion Mitte September darauf verwiesen, dass derzeit allein in Indien »etwa 1900 Studien mit circa 150 000 Probanden« durchgeführt werden. Dabei habe die Anzahl der Todesfälle binnen weniger Jahre stetig zugenommen. So zitierte die indische Wirtschaftszeitung »Business Standard« eine Statistik der nationalen Arzneimittelzulassungsbehörde über Tests des Schweizer Unternehmens Novartis. 2011 sollen dabei 57 Testpersonen gestorben sein.

Die Bundesregierung sprach sich in der Antwort explizit gegen den Gebrauch der Daten aus sogenannten unethischen Arzneimittelstudien aus. Antragstellende Unternehmen müssten bei Probandenstudien außerhalb von Europa allerdings auch schon jetzt versichern, dass die Tests unter den gleichen Bedingungen wie in der EU durchgeführt werden. Verstöße würden die Daten für ein Zulassungsverfahren unakzeptabel machen. Weiteren Änderungsbedarf sieht die Bundesregierung daher nicht. Auch hier wird die Diskussion andauern.

Philipp Mimkes von der Coordination gegen BAYER-Gefahren weist darauf hin, dass Recherchen wiederholt die Verletzung ethischer Mindeststandards belegt hätten. »Beispielsweise wussten Teilnehmer indischer Studien zumeist nicht, dass sie an Medikamententests teilnahmen«.