Leiden unter der eigenen Herkunft

Im Kino: »Der deutsche Freund« von Jeanine Meerapfel

  • Angelika Kettelhack
  • Lesedauer: 3 Min.

In Buenos Aires, in den 1950er Jahren, verliebt sich die 13-jährige Sulamit in den gleichaltrigen Nachbarjungen Friedrich. Sie ist die Tochter emigrierter Juden, er ist der Sohn eines Nazi-Verbrechers. Auch seine Eltern sind emigriert, aber mit Hilfe der katholischen Kirche über die »Rattenlinie«, die Fluchtroute der Nazis in andere Länder. Mehrere hundert Faschisten, unter ihnen Adolf Eichmann und Klaus Barbie hatten durch diese heimliche Unterstützung in Argentinien eine Zuflucht gefunden. Doch die beiden Kinder, die in zwei fast identisch aussehenden Villen wohnen, schert das zunächst wenig, da in ihren Familien nicht über die Vergangenheit gesprochen wird. Nur langsam und bruchstückhaft können die beiden sich die Geschichte ihrer Eltern wie in einem Puzzle zusammensetzen.

Jeanine Meerapfel, aufgewachsen in Argentinien und zum Studium nach Deutschland gegangen, kann in »Der Deutsche Freund« aus ihrer Kenntnis beider Länder ihre eigenen Lebenserfahrungen einbringen. Sie zeigt wie die erwachsen gewordenen Film-Kindern, die sanfte Sulamit, wunderbar sensibel dargestellt von der Argentinierin Celeste Cid, und der aufbegehrende Friedrich, eindringlich verkörpert von dem Berliner Schauspieler Max Riemelt, im Frankfurt der 1960er Jahre einen Kulminationspunkt der Zuflucht aber auch der Zweifel erleben: Friedrich leidet immer mehr unter seiner Herkunft. Wie viele junge Westdeutsche wird er politisiert, als er nach und nach von der Vernichtung der europäischen Juden erfährt. Wie seine Kommilitonen kann er es nicht fassen, wieso die deutsche Eltern-Generation davon nichts gewusst haben will. Voller Empörung versucht die junge Generation sich von ihrem alten Land abzuwenden, um eine neue, eine andere Republik zu schaffen.

Friedrich verzweifelt nicht nur an der Geschichte seiner Nazi-Eltern, sondern er schätzt den politischen Kampf der deutschen 68er als viel zu staatsfromm ein. Deshalb will er nach Latein-Amerika zurückgehen. Sulamit hingegen will sich nicht primär als Kind der jüdischen Opfer begreifen, sondern sie will ein eigenes, selbstbestimmtes Leben führen, aber ein nicht so kämpferisches wie ihr Freund, sondern eines mit mehr Sensibilität und Nachdenklichkeit. Während Sulamit ihre Liebe zu Friedrich in den Mittelpunkt ihres jungen Lebens stellt, sieht Friedrich als Sohn der Täter seine Mission in der Liebe zu allen, in der Befreiung aller Unterdrückten. Deshalb wird er in den bewaffneten Kampf gegen die argentinische Militärdiktatur ziehen und für lange Zeit in deren Gefängnissen verschwinden.

Mit dem Komponisten Floros Florides hat die Regisseurin einen kongenialen Musiker an ihrer Seite, der dem Film trotz aller thematischen Schwere etwas wunderbar Schwebendes verleiht.

Jeanine Meerapfel hat eine länderübergreifend wichtige Epoche mutig aufgearbeitet und diese mit einer anmutigen Liebesgeschichte verquickt, weil sie hofft, so auch die Generation der Enkel zu erreichen.

Interview mit der Regisseurin auf nd-online.de/derdeutschefreund

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