nd-aktuell.de / 05.11.2012 / Brandenburg / Seite 14

Wo die Residenzpflicht noch gilt

Flüchtlingsrat appelliert an die Landtagsabgeordneten, Ausnahmen abzuschaffen

Marina Mai

William K. lebt in Bad Belzig. Im Berliner Zentrum für Folteropfer wird der Asylbewerber aus dem Kamerun behandelt. Vor jedem Termin muss er bei der Ausländerbehörde eine Genehmigung einholen. Ohne diese Genehmigung darf William K. den Landkreis Potsdam-Mittelmark nicht verlassen. Grund ist die Residenzpflicht, der Asylbewerber unterliegen.

Residenzpflicht? Hatten Rot-Rot in Brandenburg und Berlin das nicht längst abgeschafft? Theoretisch ja. Eigentlich erlauben Berlin und Brandenburg den hier lebenden Flüchtlingen seit Mitte 2010, sich innerhalb der beiden Bundesländer frei zu bewegen. Dazu bedarf es lediglich eines einzelnen Stempels. Der gilt immer.

Doch, so kritisiert Kay Wendel vom Flüchtlingsrat, die Innenminister haben den bei den Landkreisen angesiedelten Ausländerbehörden ein Schlupfloch gelassen, Flüchtlingen diesen Stempel zu verweigern. Wenn ein Flüchtling eine Straftat begangen hat, selbst wenn sie sehr lange zurückliegt, kann die Ausländerbehörde den Stempel verweigern. Wenn ein Flüchtling keinen Pass besitzt oder die Ausländerbehörde ihm unterstellt, er könne freiwillig ausreisen, tue das aber nicht, kann sie den Stempel ebenfalls verweigern. »Das betrifft in einzelnen Landkreisen 50 Prozent der Flüchtlinge«, erklärt Wendel. Die Praxis unterscheide sich von Landkreis zu Landkreis. Mancherorts wird auf diese Sanktion, die auch den Behörden viel unnütze Arbeit macht, ganz verzichtet.

Weiter führt Kay Wendel aus: Alle Bewohner der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt unterliegen nach wie vor der Residenzpflicht. »Für jede Fahrt in einen anderen Ort müssen sie einen extra Antrag stellen und zwingende Gründe vortragen wie beispielsweise den Besuch bei einem Facharzt. Ist der Grund nicht zwingend, wird der Antrag abgelehnt.« Anders als noch 2010 wohnen viele Bewohner allerdings nicht mehr nur drei Monate in Eisenhüttenstadt, sondern bis zu acht Monate.

Der Flüchtlingsrat appelliert in einem Offenen Brief an alle Landtagsabgeordneten, dieser Schikane ein Ende zu bereiten. »Nach wie vor werden Reiseanträge abgelehnt. Nach wie vor gibt es Anzeigen und Prozesse wegen Verletzung der Residenzpflicht«, steht in dem Schreiben. Eine Kenianerin aus Hennigsdorf beispielsweise soll 98 Euro Bußgeld zahlen, weil sie ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde in Berlin war und dort von der Polizei kontrolliert wurde. Den Abgeordneten wird gesagt: »Wir appellieren an Sie, die wegweisende Reform aus dem Jahr 2010 weiterzutreiben, in der jetzigen Form ist sie ein Stückwerk.« Der Erlass zur weitgehenden Abschaffung der Residenzpflicht aus dem Jahr 2010 kam nach einem Auftrag durch den Landtag.

Wendel zitiert Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD), der im Januar die Abschaffung der Residenzpflicht gelobt hatte. »Die von manchen befürchteten Probleme nach den Lockerungen, wie verstärktes Untertauchen, Zunahme von Straftaten, Verzögerung von Asylverfahren mangels Erreichbarkeit, sind nicht eingetreten. Polizei und Justiz, Brandenburger und Berliner Behörden sowie Sozial- und Jugendbehörden sehen keine oder kaum Probleme mit den neuen Regelungen.«

Also, schlussfolgert Kay Wendel, gebe es auch aus ordnungspolitischer Sicht keine Gründe, an den Schikanen festzuhalten. Die seien reine Willkür der kommunalen Ausländerbehörden, denen das Land einen Riegel vorschieben sollte.

Die Residenzpflicht ist nicht das einzige Beispiel, wo einige Landkreise anders handeln, als die rot-rote Landesregierung es sich wünschen würde. So beharrt Oberhavel darauf, weiter vornehmlich Gutscheine an die Flüchtlinge auszugeben, obwohl das Sozialministerium für Bargeldzahlungen plädiert.

Linksfraktionschef Christian Görke forderte am Freitag, die Residenzpflicht bundesweit aufzuheben. »Dies muss dann auch gesetzlich festgeschrieben werden, damit es keine ›Grauzonen‹ gibt und möglicherweise nach Belieben entschieden wird.« Görke verlangte auch, die Zustände in Asylbewerberheimen zu verbessern.