»Pippilothek« geht auch ohne Personal

Öffentliche Bibliotheken gehören zu den Institutionen, die eine Gesellschaft zusammenhalten können - wenn sie denn dürfen

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 5 Min.
Bibliotheken sind Anlaufstellen für alle, die Sprache und Land (kennen)lernen wollen, die sich beruflich oder einfach so weiterbilden wollen. Sie vermitteln Alt und Jung neben Wissen und Vergnügen auch wichtige Medienkompetenzen. Doch kommunale Pflichtaufgabe ist all das nicht - und Deutschland steht im Ländervergleich sehr schlecht da.

»Hier sind meine Kinder - ich hole sie dann am Abend wieder ab.« Mit solchen Sätzen war Andreas Gebauer schon mehrmals konfrontiert - ungewöhnlich für einen Bibliothekar. Gebauer leitet die Zweigstelle der Bremer Stadtbibliothek im Stadtteil Gröpelingen. Hier haben 40 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund - aber nur knapp 16 Prozent Abitur, halb so viele wie im Bremer Durchschnitt. 24 Prozent empfangen Leistungen der staatlichen Grundsicherung. Da in der Türkei staatliche Einrichtungen wie Bibliotheken auch mal Kinder beaufsichtigten, kämen auch in Gröpelingen manche Eltern auf diese Idee, erklärt Gebauer. Solche Wünsche erfüllt die Stadtbibliothek Bremen nicht. Doch sie qualifiziert ihre Angestellten für solche Situationen.

Dass Öffentliche Bibliotheken wichtig für gesellschaftliche Integration sind, dürfte bekannt sein. Doch dies gilt nicht nur hinsichtlich Einwanderung. Alt und Jung, gesellschaftlich Benachteiligte finden hier vielfältige Hilfestellungen. Öffentliche Bibliotheken sind zentrale soziale Orte, gesellschaftliche Bindeglieder - sie begünstigen persönliche Entwicklungen und sozialen Frieden.

Nicht nur für die berufliche Weiterbildung, auch für Schulen gibt es computergestützte Angebote, zum Teil sogar in den Schulen selbst. Die Online-Datenbank »Press Display« etwa bietet 1700 Zeitungen und Zeitschriften aus dem In- und Ausland, zum Teil mit maschinell vorgelesenen Übersetzungen. Zur Heranführung der Jüngsten wird bisweilen ein »Bilderbuchkino« veranstaltet. In der Diaschau, zu der eine Geschichte vorgelesen wird, verfolgt ein hungriger (und analphabetischer) Fuchs eine Maus in ein ihm unbekanntes Gebäude und wird dann von ihr in die »Pippilothek« eingeführt. »Unsere 2011 durchgeführte Studie zur Nichtnutzung von Bibliotheken hat bewiesen, dass Menschen, die im Kindesalter Bibliotheken kennenlernen, diese in der Regel ihr Leben lang besuchen«, sagt Monika Ziller, Leiterin der Stadtbibliothek Heilbronn und Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbands (DBV).

Hauptproblem bleibt das fehlende Geld

Auch Jugendliche werden gezielt angesprochen, etwa mit dem Verleih von Computerspielen - und mit der Möglichkeit, sich einzubringen. Nicht nur in Bremen-Gröpelingen, auch in Norderstedt bei Hamburg durften Jugendliche schon bei der Raumgestaltung mitmachen. Hier ist die Bibliothek sogar mit der Volkshochschule zusammen Teil des kommunalen Unternehmens »Bildungswerke Norderstedt«, dessen Online-Weiterbildungsangebot sie gemeinsam stellen.

Laut DBV kooperieren fast alle kommunalen Bibliotheken mit Grundschulen und Kindergärten, immerhin die Hälfte mit Volkshochschulen und 40 Prozent mit Senioreneinrichtungen.

Nicht kooperationsbereit sind hingegen viele Verlage bezüglich elektronischer Literatur. Die Zahl der Bibliotheken, die im Internet das Runterladen temporär lesbarer elektronischer Bücher anbieten, steigt rasant. Ebenso die Summen, für die solche E-Books angekauft werden. Doch viele Verlage wollen den Bibliotheken nicht die gleichen Rechte einräumen wie für papierne Bücher und verkaufen ihnen deshalb keine elektronischen Bücher. »Einige Verlage wollen wohl eigene Verleihmodelle einsetzen«, sagt Monika Ziller.

Das Hauptproblem der Bibliotheken bleibt aber die finanzielle Lage. Bei einer DBV-internen Umfrage im Mai und Juni zeigten sich 56 Prozent der kommunalen Bibliotheken in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern von »globalen Haushaltssperren oder ähnlich grundlegenden Einschränkungen« betroffen. Manche Bibliotheken müssen ihre Öffnungszeiten verkürzen. »Dass die Mittelkürzungen nicht mehr ganz so stark sind wie 2011 kann höchstens als Verschnaufpause gewertet werden«, schreibt der DBV. Deutschland hat im Ländervergleich sehr schlechte Nutzungszahlen aufzuweisen (siehe Infokasten). DBV-Geschäftsführerin Barbara Schleihagen macht dafür auch unterschiedliche kulturelle Traditionen verantwortlich. Fakt ist jedoch: Andere Länder geben auch viel mehr Geld für ihre Bibliotheken aus.

Wohin dieses Sparen an der kulturellen Bildung im Extremfall führt, zeigt sich in Lübeck, wo die Bibliothek in den letzten zehn Jahren ein Drittel ihres Personals verloren hat, den Großteil der Zweigstellen schließen musste und sich kaum noch um den riesigen, zum Teil einzigartigen und bis zum 11. Jahrhundert zurückreichenden historischen Bestand kümmern kann; oder in Schwerin, wo die Mängel in der Statik der Hauptbibliothek so lange missachtet wurden, bis im Mai der Großteil des Gebäudes geschlossen und die betroffenen Bestände in unzugängliche Magazine ausgelagert werden mussten (siehe Interview).

Da geht Dänemark ganz andere Wege, und nicht nur wegen der deutlich höheren Ausgaben und den seit langem üblichen Sonntagsöffnungen. Seit 2005 wird dort der personallose Betrieb ausprobiert, erklärt Alice Feddersen, die das vom dänischen Staat finanzierte Bibliothekswesen für die dänische Minderheit in Südschleswig leitet. Dadurch hätten sich die Öffnungszeiten mehr als verdoppelt, die Zahl der Ausleihen sei um über 20 Prozent gestiegen. In all den Jahren habe es nur je einen Fall von Vandalismus und Diebstahl gegeben. Die Verantwortlichen seien dann aber, auch dank der Überwachungskameras, geschnappt worden.

Auch Sonntags geöffnet

Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen, wo die Zentralbibliotheken von Kultureinrichtungen umgeben sind, die auch sonntags öffnen, hätten gerne eine Aufhebung des Sonntagsarbeitsverbots für Bibliotheken. Sie sehen das als familienfreundlich an, haben an verkaufsoffenen Sonntagen gute Erfahrungen gemacht und wollen sonntags auch nur freiwillig zusagendes Personal einsetzen. In Bremen gibt es nun ein Pilotprojekt. Seit diesem Monat wird die Zentralbibliothek ein halbes Jahr lang am ersten Sonntag im Monat geöffnet sein. Uwe Liebe vom Ver.di-Bezirk Niedersachsen-Bremen hält generelle Sonntagsöffnungen jedoch für »unzulässig - und für unzumutbar. Die Beschäftigten sind schon sehr ausgelastet.« Die Sonntagsarbeit führe zu einer höheren Arbeitsverdichtung an den Wochentagen, wenn dann ein Teil des Personals wegen des Sonntagsdienstes frei hat.

Öffnungen ohne Personal und andere Einsparmöglichkeiten hin oder her - nötig wäre ein Bundesgesetz, das Personalbestand und Medienetat von der Zahl der Ausleihen abhängig macht; das Bibliothekswesen als kommunale Pflichtaufgabe definiert, an dem nicht gespart werden darf; und auch noch klarmacht, dass die Gelder dafür von höheren Ebenen kommen müssen.

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